15. September 2018 – Von der Fieberkurve der Maische und vom unaufgeregt gluckernden Rosé

Seit Mittwoch wird die Maische zweimal am Tag umgerührt, wenn die Sehnsucht zu groß ist, auch öfter. Es soll früher Winzer gegeben haben, die neben dem gärenden Jungwein geschlafen haben. Heute weckt deren Söhne und mittlerweile auch betriebsführende Enkelinnen aber eher eine app, wenn etwas zu tun ist oder falsch läuft. Bei uns läuft gezwungenermaßen alles natürlich und ohne Computersteuerung. Gerührt wird, weil sich während des Gärvorgangs die Zellstruktur des Traubengelees verändert und der Saft austritt. Die leeren und leichten Traubenschalen schwimmen oben und bilden schnell einen festen, gerne 15 cm dicken und oberseits schnell austrocknenden Deckel.

Das Durchmengen verhindert das Abtrocknen und dass sich oben unter ungünstigen Bedingungen Schimmel bildet. Gleichzeitig bleibt die sich unter dem Deckel ansammelnde gärende Flüssigkeit – nach schnell fortschreitendem Stand der Dinge Most, Rauscher oder Jungwein – weiter in Kontakt mit den Traubenschalen, die fortwährend Farbe und unterschiedlichste Aroma- und Gerbstoffe abgeben. Ohne Umrühren würden diese nicht optimal und vollständig in den Wein übergehen, sondern später mit den Schalen entsorgt. Außerdem rührt der Winzer auch ganz gerne um, weil er sich tief in den Bottich gebeugt einen satten Zug Kohlendioxid gönnt, der schön in den Luftröhren bitzelt. Besser kann man sich von einer erfolgreichen Gärung nicht überzeugen. Auf diesen Moment wartet man das ganze  Jahr. Winzer sind CO2-Junkies.

Das Ende der Umrührphase ist erreicht, wenn der Deckel dünner wird und ganz verschwindet und auch ohne ständiges Mischen ein gleichmäßig dünner Brei verbleibt. Das dauert zwischen 5 und 10 Tagen, wenn es kalt ist auch länger, danach kann abgepresst werden oder auch weiter zugewartet, dass der Wein „dicker“ und intensiver wird. Manche Rotweinsorten sind schlechte Farbgeber. Auf einer Frankfurter Weinmesse habe ich einen Winzer getroffen, der berichtet hat, dass er seinen Spätburgunder 2 Monate auf der Maische liegen hat. Manchmal denke ich zwar etwas ungläubig, dass er mich für einen dieser Nordend-Weintrinker gehalten hat, die den Winzern dumme und naseweise Detailfragen stellen und dann mit schrägen Antworten zurück flunkert, aber bei über 10 Tagen Maischelager waren wir auch schon angekommen. Egal, schwarzblau war unsere Maische von Anfang an. Wir entscheiden dann eher spontan, wann wir diese Phase beenden.

Da im Moment nichts weiter zu tun ist als das wiederkehrende gleichförmige Umrühren, löse ich noch ein Versprechen von früher ein, auf die Unterschiede bei der Vergärung und beim Abpressen von Weißwein und Rotwein zurückzukommen: Beim Rotwein wird am Ende der Vergärung das Innere der Trauben – der Gelee, das Fruchtfleisch – weitgehend verflüssigt sein. Aus Kernen, Stielresten und Schalen sind unendlich viele Geschmacks- und Aromastoffe in den Wein übergegangen. Etwa 80 Prozent der gesamten Maische sind jetzt flüssig, der Wein durch einfaches Auspressen leicht von den zurückbleibenden Teilen – dem „Trester“ – zu trennen. Von unseren 225 Liter Maische wird nach Abpressen eine im Durchmesser etwa 50 cm messende, vielleicht 30 cm hohe runde und fast trockene Scheibe aus gepressten Schalen und Kernen zurückbleiben, mehr nicht (Fotos folgen).

Weißwein wird aber sofort nach dem Zerquetschen in der Mühle abgepresst und nur der Saft wird vergoren. Das Pressen ist ungleich schwerer, der Gelee in den Trauben ist noch nicht verflüssigt, die Saftausbeute geringer. Nur die Profis erreichen mit ihren Hightech-Pressen eine ähnliche Ausbeute wie beim Rotwein. Wir kommen bei Rotwein mit der Maischegärung und der handbetriebenen Presse auf etwa 80 Liter Jungwein pro 100 kg Trauben. Bei Weißwein werden es meist weniger als 60 Liter pro 100 kg Trauben, der abfallende Presskuchen bleibt deutlich feuchter als bei Rotwein. Wobei man den Weißweinrest aber nicht zwingend entsorgen muss. Man könnte ihn wieder mit Wasser verflüssigen und Zucker und Hefe ansetzen, vergären und anschließend eine Art Traubenbrand brennen lassen, einen Schnaps irgendwo zwischen Wein- und Tresterbrand. Beim Rotwein wäre das weniger ergiebig, da ist ja der gesamte Zucker bereits während der Bottichgärung in Form von Alkohol im Wein gelandet, die Schalen und wenigen Fruchtreste sind bereits „verbraucht“.

Jetzt zum „Maischefieber“: der Gärprozess wandelt nicht nur Zucker in Alkohol und Kohlendioxid um, er setzt auch Wärme frei. Große Gebinde mit mehreren tausend Liter Maische werden sogar richtig heiß. Ich kann es gerade nicht belegen, meine aber eine Empfehlung gehört zu haben, bei 40°C kühlend einzugreifen. So etwas soll etwa in Spanien bei sehr hohen Außentemperaturen durchaus vorkommen. Wikipedia flüstert mir gerade aus dem Hintergrund zu, dass die meisten Winzer Rotwein bei kontrollierten 22 bis 25°C, Weißwein bei 15 bis 18°C vergären.  Unsere Maische hat heute (Sonntagmorgen, Tag 4 nach Ernte und Einmaischen) 25°C, vorgestern Abend waren es 31°C, wahrscheinlich der Höhepunkt der „stürmischen Gärung“. Unsere Möglichkeiten der Temperaturkontrolle bestehen allerdings nur im möglichst virtuosen Umgang mit den Reglerknöpfen „Tür zum Kellerhaus auf“, „halb auf“, „halb zu“, „zu“, „Fensterläden auf/zu“. Als Zusatzoption bei kalten Temperaturen können wir noch die Trumpfkarte „Heizlüfter“ ziehen.

Im Moment ist das Kellerhaus innen auch nachts etwa 23°C warm, da müsste man eher schon kühlen, um der weiteren Aufwärmung durch die Gärung entgegenzuwirken. Der tiefer gelegene Lagerkeller unter der Erde hat zwar nur 18°C, aber den schweren Bottich können da nicht gut hinwuchten.  Also läuft der Rotwein mehr oder minder ungeregelt, das hat auch seinen Charme. So einen Wildfangwein können Profis nämlich überhaupt nicht mehr bieten.

Den kleinen Glasballon mit dem Rosé haben wir allerdings schon bald nach unten gebracht. Der legte oben im Kellerhaus los wie die Feuerwehr, jetzt gärt er unaufgeregt, aber sehr stetig bei idealen 18°C vor sich hin. Das belegt das nicht mehr so sehr schnelle Gluckern im Gärverschluss und auch das folgende Video (Bild anklicken, Media-Player erforderlich):

Den Unterschied der Umgebungstemperaturen der beiden Gärprozesse zeigen auch schön die aktuellen Restzuckerwerte. Beim „warmen“ Rotwein haben die Hefen in sage und schreibe nur 4 Tagen bereits zwei Drittel des gesamten Zuckers verbraucht. Von anfangs 22 sind nur noch 8 Grad Zucker nach KMW vorhanden (40 von 110 Oechslegraden). Der langsamer und kühler gärende Rosé ist zwar auch fleißig gewesen, bringt es aber noch auf 10,5 KMW bzw. 50 Ochsen. Und wir erinnern uns hoffentlich alle: der hatte noch nicht einmal so viel Zucker wie der Rotwein, den haben wir ja entnommen, bevor wir die Maische aufgezuckert haben.

Nächste Haltestellen: Abpressen, Einlagern. Wir melden uns. Für den Moment aber: Bildschirme schließen, Vorsicht bei der Abfahrt!

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