12. September 2018 – Ausgelesen, abgerappt, eingemaischt

Im Weingarten steht eine Kohorte ausländischer Erntekräfte, in diesem Jahr kommt eben auch bei uns zum Tragen was in der EU üblich ist.  Nur ist der Betreuungschlüssel Weinstöcke pro Arbeitskraft deutlich besser: eine ist für eine nur 15 Meter lange Reihe zuständig.

Da können in Ruhe auch angefressene Beeren einzeln per Hand entfernt werden.

Die Trauben werden mit Stiel von den Stöcken geschnitten und durchgesehen und landen in einem Eimer. Die Hobbywinzergattin leitet an und führt Aussicht. Es geht langsam voran.

Jemand trägt die Eimer ins Kellerhaus. Dort wartet die Traubenmühle, die die Beeren zwischen Zahnwalzen zerquetscht und anschließend die Stiele entfernt.

Die Trauben fallen nach unten in den Maischebottich, während die erstaunlich blanken Stiele am Ende einer Röhre aus Lochblech in die bereit stehende Schubkarre fallen.

Verblüffend, aber eine ganz einfache Mechanik: mit den Zahnwalzen dreht sich ein Metallstab mit Flügeln, die die Trauben und Stiele durch die Röhre schieben, die bereits angeknickten Beeren bleiben an den scharfen Kanten des Blechs hängen und fallen durch die Löcher, am Ende der Röhre sind die Stiele blank.

Das funktioniert aber nur mit einigermaßen ganzen „Pergeln“, wie man ganzen Fruchtstand der Weinpflanze auch nennt.

Früher wäre es allerdings eher üblich gewesen, die Trauben mitsamt den Stielen zu vergären ist. Es kommen dann mehr herbe Noten in den Wein, Gerbstoffe, Harze und anderes aus dem Holz. Früher hat man jedenfalls hier im Dorf die ganzen Pergel in den Bottich geworfen und die Kinder mit nackten Füßen durch den Brei gejagt. Heute ist die Abtrennung der Stiele aber einfach möglich und üblich, wir gehen mit der Zeit und sind stolz, so ein italienisches Designergerät zu haben.

Nachdem die Kinder aus dem Bottich raus sind, wäre auch früher an dieser Stelle nach Abwaschen der Füße Feierabend gewesen. Der Weinbauer hätte jetzt zugewartet bis der Wein in den kommenden Stunden und Tagen selbständig zu gären – zu „kochen“ – beginnt. Diese so genannte Spontangärung kommt zunehmend wieder in Mode. Das ist interessant und spannend, geht aber auch schnell damit einher geht, dass der Winzer irgendwann nur noch bei (alternativ „vor“ oder „nach“) Vollmond erntet und links drehende Ziegenhörner im Weinberg vergräbt. Spontan vergären macht aber auch der Biowinzer nur mit absolut einwandfreiem und hochwertigem Lesegut und dem imageträchtigen Teil seiner Produktion. Für die Butter und Brot-Ware, von der er am Ende leben muss, setzt er aber alles ein, was an Methoden und Verfahren im modernen Weinbau zur Verfügung steht. Wenn die Trauben wenig Zucker haben, angeschimmelt und angefressen sind und auch noch die Kellertemperatur niedrig, wird man nicht auch noch eine Spontangärung riskieren.

Und an dieser Stelle reihen wir uns mit der heutigen Ernte auf der sicheren Seite ein: wir setzen der Maische Reinzuchthefen zu. Wie früher angedeutet, wandeln Hefen den Zucker aus dem Traubensaft in Alkohol um. Es gibt aber tausende wenn nicht Millionen unterschiedliche Hefestämme (Hefen sind im Grunde auch nur Pilze). Viele davon sind der alkoholischen Gärung fähig. Aber nicht alle machen den Job so wie es der Mensch gerne hätte. Manche arbeiten sauber und produzieren überwiegend reinen trinkbaren Alkohol, wenn auch nicht unbedingt 100% chemisch sauberes Ethanol. Alle bilden aber auch mehr oder weniger sonstige Stoffe, die ab einem bestimmten Anteil den Wein fehlerhaft machen. Wenn man den Wein spontan gären lässt, hat man keinerlei Kontrolle darüber, welche Hefen genau aus der Luft und aus den Kellerräumen in die Maische gelangen und was sie dort tun. Daher impft man die Maische lieber mit einer der gängigen Reinzuchthefen, die weltweit aus anerkannt guten Stämmen gezüchtet werden. Und zwar in solch hoher Dosis, dass die wilde Konkurrenz erst gar nicht zum Zuge kommt und nur am Rande an der Gärung beteiligt ist.

Da das Thema später nicht mehr behandelt wird, kurz noch eine Anmerkung zur zweiten Bedeutung von Reinzuchthefen: unterschiedliche Hefen erzeugen unterschiedliche Geschmacksnoten aus den gleichen Trauben. Aktuell kann man das Phänomen gut bei Bier nachvollziehen, da kennen die craft beer-Trinker inzwischen die lateinischen Namen der Hefestämme. Reinzuchthefen werden gewonnen aus natürlich vorkommenden Hefen und kommerziell vermehrt. Sie stammen aus bestimmten Weinkellern und Regionen. Dort haben sie über Jahrhunderte natürlich – „spontan“ – für die Gärung gesorgt und durch ihre jeweilige Charakteristik für eine unverwechselbare Geschmacksnote der örtlichen Weine gesorgt. Heute kann man weltweit alle bewährten Hefen kaufen, sie heißen „Burgunderhefe“ oder „Bordeaux“, und seinen Wein in eine bestimme bevorzugte Richtung anschieben. Manche Hefen holen aus einem Sauvignon Blanc mehr Maracuja-Noten heraus an andere. Wo schmeckt der am allerfeinsten? Im Neuseeland, also hole ich mir eine Hefe aus Neuseeland und hoffe, dass das funktioniert.

Wir benutzen die in Südafrika entwickelte Hefe NT202 („Gärkräftige Hefe für gehaltvolle, strukturierte Rotweine……). Unser Wein wäre anders wenn wir eine andere oder gar keine Hefe einsetzen würden. Wir haben den Vergleich: der Nachbar hat die gleichen Trauben und ist ein Spontangärer. Der Unterschied ist schmeckbar. Die Hefe kommt als trockenes Granulat, wir nehmen weniger als die vom Hersteller empfohlene Menge von 30 gr/Hektoliter. Sie wird in verdünntem Traubensaft angerührt und in die Sonne gestellt, nach einer halben Stunde zeigen sich Bläschen, die Hefe beginnt ihre Arbeit. Nach einer weiteren halben Stunde ist sie soweit aktiviert, dass sie in die Maische eingerührt werden kann.

Die Erntebrigade hat nach 3 Stunden bei 32 Grad Celsius in praller Sonne den Bottich zu etwa drei Vierteln gefüllt. Am Schluss liegen darin 225 Liter Maische fast ohne Stiele. Das werden nach einer gängigen Formel nach Abpressen in 6-10 Tagen überschlägig bis zu 180 Liter junger Wein. Abgezogen sind dabei schon 26 Liter relativ hellen Traubensafts, den wir gleich zu Anfang ohne jeden Druck aus dem Hahn am Bottich haben ablaufen lassen. Der sitzt jetzt in einem separaten Glasballon und wird hoffentlich ein Rosé oder wenigstens ein heller Rotwein. Denn unsere Traubensorte färbt den an und für sich weißen Saft sehr schnell und früh rot ein. Andere Sorten brauchen dazu Tage, die einsetzende alkoholische Gärung und erzeugen dennoch nur sehr helle Rosés. Warum wir es machen: wir wollen ein wenig helleren, leichten Wein haben, aber auch von dem profitieren was das Ablassen von Most ganz am Anfang sonst noch bewirkt. Die Menge der Schalen und Kerne bleibt nämlich im Bottich gleich, dafür ist die Flüssigkeitsmenge geringer. Die Farb- und Aromastoffe sind im späteren Wein in höheren Anteilen enthalten als ohne die Entnahme des Roséweins. Da heutzutage sehr dichte, intensive Rotweine bevorzugt werden, kommt man nicht ohne dieses Verfahrens aus. Rosé als leichter Balkonwein ist auf der einen Seite eine Mode, auf der anderen aber eine Begleiterscheinung oder auch ein Abfallprodukt der Rotweinherstellung.

Der Rosé „kocht“ schon am gleichen Abend, der schwimmende Deckel des Gärverschlusses hebt und senkt sich gleichmäßig. Die alkoholische Gärung setzt Kohlendioxid frei, das aus dem Most perlt und sich über dem Flüssigkeitsspiegel ansammelt bis es durch den Überdruck aus dem Gärverschluss herausblubbert. Auch die Maische im Bottich riecht schon bald nach Gärung. Das Lesen in der grellen Sonne hat sich gelohnt: die Trauben sind sehr warm eingemaischt worden, die Hefe fängt unmittelbar an zu arbeiten. Im vergangenen Jahr hat das Tage gedauert, bei 12 Grad im nächtlichen Kellerhaus mussten wir heizen, damit überhaupt etwas passiert. Jedes Jahr ist anders.

Der natürliche Zuckergehalt von Trauben und Most betrug übrigens rund 100 Oechsle oder 20 Grad auf Kloster Neuburg-Skala (KMW). Daraus würde ein Wein mit rund 12% Alkohol entstehen. Für Rosé ist das OK, der Rotwein dürfte gerne eine Umdrehung mehr haben, zumal die Laborwerte für den 2017-er teilweise nur bei 11,5% lagen. Wir haben die 225 Liter Maische mit 4 kg aufgezuckert, jetzt hat der auslaufende Most 110 Oechsle/22 KMW, damit kommen wir wohl an 13% Alkohol heran. Bestätigung etwa in einem Jahr, vorher lassen wir das nicht messen.

Für heute ist das Wichtigste getan und gesagt, müde sind sowieso alle. In den kommenden Tagen wird die Maische täglich zweimal umgerührt, warum erzähle ich dann und was sonst auch heute noch interessant gewesen wäre.

Jetzt müssen wir noch mit dem Schlauch die auseinandergebaute Traubenmühle und die klebrigen Eimer und Rebscheren abspritzen, das Kellerhaus ausfegen, die Strünke entsorgen und was sonst der Lehrbub, den wir nicht haben, ungern tut, hinter uns bringen. Da sitzen die ausländischen Erntekräfte längst unter der schattigen Laube und besprechen das heute erlebte Abenteuer.

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