6. September 2018 – Besenschwingen, Zucker, Geiz und eine Prise Politik

Und wenn es noch so wichtig ist: ähnlich wie der Lehrbub fegt auch der Hobbywinzer das Kellerhaus nicht wirklich gerne aus, noch reißt er sich um das Sortieren und Reinigen des Geräts. Aber es hilft nichts: alles muss raus und einmal wenigstens kurz mit Wasser abgespritzt, Spinnweben von der Kellerdecke gewischt, der Boden gekehrt werden. Vom Speicher rollt der große rote Kunststoffbottich auf die Wiese, darin soll die Maische kommende Woche gären. Die Traubenmühle ist noch beim Nachbarn in Benutzung und stößt später dazu.

Am späten Vormittag entschließen wir uns, den Trauben für die verbleibende Zeit bis zur Ernte so viel direkte Sonne wie möglich zukommen zu geben und entfernen das Laub drum herum.  Unter idealen Bedingungen sollte der Zuckergehalt selbst in wenigen Tagen noch einmal messbar ansteigen.

An dieser Stelle zum ersten Mal ein Blick voraus auf die alkoholische Gärung: Hefen werden den Zucker im Traubenmatsch in Alkohol (und Kohlendioxid) umwandeln. Je mehr Zucker, desto höher der Alkoholgehalt des Weines. Der Gehalt an natürlich gebildetem Zucker gilt als der Qualitätsmaßstab für Weintrauben schlechthin, sie sollen natürlich auch nicht verschimmelt sein oder beschädigt. Aber sehr viele sind angeknabbert, beim Entlauben zeigen sich das Ausmaß des Wespenfraßes und auch die Folgen: stellenweise riecht es im Weingarten beinahe wie in einem Keller mit gärenden Gefäßen. Es wird uns klar, dass die Ernte nächste Woche nicht zack-zack gehen wird, sondern das Verlesen und Aussortieren von Hand Zeit und Sorgfalt brauchen wird. Es wird nicht zu vermeiden sein, es sollen aber möglichst wenig angefressene und angegorene im Bottich landen.

Zurück zum Zucker: ich sagte mit Absicht „Gehalt an natürlich gebildetem Zucker“, denn das ist die Basis zumindest der deutschen Qualitätszertifizierung. Ab der Stufe „Kabinett“ muss der Zucker in den Trauben vollständig ausreichen, es darf nichts zugesetzt werden. Das ist teilweise ein Mythos, weil es den Hefen und am Ende auch dem Trinker gleich sein kann, aus welchem Zucker sich der Alkohol im Wein bildet. Das System bevorzugt und schützt erst einmal geographische Lagen und traditionelle Weinbaugebiete, in denen die Sonne für ausreichend Zucker in den Trauben sorgt. Das ist hauptsächlich ein wirtschaftliches Schutzsystem, wie auch die ganze Zulassungspraxis für Traubensorten und die EU-weite Kontigentierung von Anbauflächen. Im Prinzip könnte man auch Alkohol aus Zuckerwasser und Hefe machen. Der schmeckt dann natürlich nicht wie Wein, dessen Geschmack machen aber weitgehend alle anderen Inhaltsstoffe der Trauben NEBEN dem Zucker aus: tausende hochkomplexe biochemische Geschmacksverbindungen, Esther und wer weiß was, bei Rotwein auch die Farbe in den Schalen und Bitterstoffe aus den Kernen, die berühmten „Tannine“ eben. Und da punkten natürlich die sonnenbegünstigen traditionellen Anbaugebiete, den Zucker könnte man aber auch anders hinzufügen. Und tut es auch ungeniert und ganz legal unterhalb der Qualitätsstufe „Kabinett“. So mancher Weinromantiker hat sich während der Erntezeit schon über etliche Paletten mit Südzuckerpäckchen in den Höfen von Weingütern gewundert. Die Zuckerrübenbauern verdienen jedenfalls ganz ordentlich auch an den Winzern.  Auch wir zuckern unsere Maische im Zweifelsfall ein wenig auf, um zu verhindern, dass der Wein vollständig durchgärt und kein Zucker mehr im fertigen Wein verbleibt. Ich komme auf das Thema noch einmal bei der Einmaischung zurück, Vorsorge ist aber schon jetzt getroffen. Zucker ist um diese Zeit in ungarischen Geschäften selbstverständlich im Angebot und sitzt auf Paletten zwischen den Regalen.

Nach diesem Exkurs fasse ich mich jetzt etwas kürzer: beim Entlauben haben wir unglaublich viele weit entwickelte, aber noch grasgrüne Geiztrauben ausgeschnitten. Hatten wir in dieser Menge noch nie, können wir nicht erklären. Müssen aber weg, weil sie Nährstoffe abziehen und Zucker einlagern, der den bereits reifen Trauben dann abgeht. Schnipp schnapp, weg.

Auf den reifen Trauben sitzen übrigens nicht nur Wespen, sondern auch zahlreiche Schmetterlinge, wahrscheinlich vom Zucker von ausgeplatzten Trauben angezogen oder von der Wärme auf den schwarz-violetten Früchten oder auf Blättern in der Sonne.

Vor diesem Hintergrund wirken die Admirale (Bild) und Tagpfauenaugen grellbunt und auffällig, etwas unauffälliger ist der C-Falter. Überhaupt ist es mir eine Freude zu sehen, dass hier noch ein paar mehr Insekten unterwegs sind als in diesem deutschen Sommer: außerhalb des Weingartens fliegen an Schmetterlingen noch ein Großer Waldportier vorbei und etwas Unbestimmtes weißes und gelbes, evtl. ein Postillion. Und die Gottesanbeterinnen beginnen sich offen zu zeigen, sie sitzen jetzt zunehmend in der direkten Sonne vor unserem Haus.

Am Nachmittag Nachbarschaftshilfe: zwei Häuser weiter wird gelesen, da hilft man natürlich mit.

Mit zuckerversklebten und rebscherenbewehrten Händen, Blick in die Laubwand, werden nicht nur Trauben abgeschnitten und in Eimer geworfen, es wird auch zaghaft etwas politisiert. Ob wir schon gehört hätten und was wir davon hielten, dass hiesige Regierung und Medien täglich verkünden, dass der FIDESZ im kommenden Jahr nach den anstehenden Wahlen zum Europaparlament mit der deutschen AfD „zusammen geht“ und vielleicht bestimmt auch mit der CSU, die sich zunehmend von „der Angela“ entfremdet. Und dass man dann mit den anderen konservativen Kräften in Europa „ganz sicher“ eine Revolution wird anzetteln können und der Sieg nur noch eine Frage der Zeit ist, dass man „den Holländer“ (Junckers) und „die Angela“ jetzt einfach nur noch aussitzen muss und nicht mehr ernst nehmen braucht. Wir Deutschen sind nicht so sicher wie die ungarische Regierung, zumindest nicht, dass es ganz genau so kommen wird, jedenfalls nicht, ob und dass die CSU ihre enge Freundschaft mit dem FIDESZ auch dann wird fortsetzen können, wenn dieser mit der AfD zusammengeht. Auch hier in Ungarn glaubt und will das nicht jeder, auch nicht jeder Nachbar. Schnell sind mit 5 Kräften die Trauben abgeerntet und in die Mühle geschüttet, in der sie zerquetscht und von den Stielen befreit werden.

Der Bottich ist gut voll mit auf glänzender schaumiger Zuckerbrühe schwimmenden Trauben, die spontan zu gären beginnen werden, der Nachbar wird keine Hefe zusetzen, aber vielleicht etwas Zucker.

Als Belohnung gibt es im Anschluss leckeres Letscho und ein paar Schlucke Wein vom vergangenen Jahr. Und den Tipp, vielleicht Wespenfallen zwischen die Trauben zu hängen, was dann kurz vor Dunkelwerden noch in die Tat umgesetzt wird. Leere Flaschen werden mit Zuckerwasser und etwas Bier gefüllt. Infamerweise streue ich noch ein paar Krümel Reinzuchthefe in die Flüssigkeit, die morgen in der Sonne zu gären beginnen dürfte. Und ab dafür.

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