18. September 2019 – Grande Finale, Szene 2: Beim Abfüllen mit dem Kork tanzen

„Gestern wird sein, was morgen gewesen ist.“ – ????
Diese kleine, aber nicht unlösbare Denksportaufgabe für Literaturaffine – welcher deutsche Nobelpreisträger leitete mit diesem Satz welche seiner nicht gar so bekannten Erzählungen ein? – trifft sinngemäß auch auf diesen Tagebucheintrag zu. Was jetzt kommt findet nämlich am gleichen Tag statt wie das was im letzten Beitrag der Einfachheit halber separat und vorab erzählt wurde. Zum Teil vor, zum Teil nach dem Filtern des Weines, zum Teil während der Wein durch den Filter läuft. Drei Menschen teilen sich heute das Flaschenspülen, das Filtern des Weines, das Abfüllen in Flaschen, das Verkorken und das Verstauen der Flaschen im Keller und springen dabei noch von Szene zu Szene. Vor Ort sind die Hobbywinzerin, der Hobbywinzer und dessen Schwester.

Am Morgen wird alles gepackt, was im Laufe des Tages benötigt wurde. Das folgende Stillleben zeigt wie romantisch man sich das alles vorstellen darf. Nagellack (das erklären wir später), Waage, Schwefel, Gummihandschuhe, Taschenrechner, Zollstock (wir messen die Weinmenge im Tank mangels Skala mithilfe der Formel „Füllhöhe·π·r2“) , Papier und Schreibwerkzeug. Auf dem Foto fehlen nur die Bohrmaschine und der Betonrührer, die auch noch zum Einsatz kommen.

Während im Keller bereits Wein aus den Fässern geholt und das Filtern vorbereitet wird, sah es in der Garage so aus:

In der letzten Woche gekaufte neue Flaschen werden kurz unter fließendem Wasser entstaubt, bereits früher einmal benutzte noch einmal sorgfältig auf Sauberkeit überprüft, an diesem Tag insgesamt 250 Stück. Wir wollen immerhin 2 kleine Fässer und einen Glasballon  2018-er sowie ein weiteres Fass 2017-er, der dort 2 Jahre lagerte, abfüllen.

Jetzt stand vor dem Keller schon der Flaschenbaum mit dem Aufsatz für die letzte desinfizierende Reinigung der Flascheninnenseiten:

Ein pfiffiger Federmechanismus spritzt im Inneren Flüssigkeit gegen den Flaschenboden, die über die Seiten wieder abläuft.

Schwefelige Säure – da ist sie wieder!, aber diesmal unterhalb einer Konzentration von 0,5%. Und wenn die Flaschen lange genug auf dem Baum hängen, läuft sie fast vollständig wieder ab, die Flaschen sind innen fast trocken und einen kurzen Moment lang praktisch keimfrei. Da kann jetzt schnell der Wein rein.

Der ist ja schon gefiltert und wurde zum letzten Mal geschwefelt. Wie und warum, wurde oft genug erklärt, hier nur ein Blick auf den Wirbel, den der von der Bohrmaschine angetriebene Betonrührer erzeugt. Vor dem Abfüllen muss der zugesetzte Schwefel so gleichmäßig wie überhaupt möglich untergerührt werden:

Jetzt hat die Dame, die zuvor in der Garage Flaschen gespült hat, die Stellung gewechselt und lässt über einen kurzen Gummischlauch, nachdem sich die durchwirbelte Flüssigkeit etwas beruhigt hat, den Wein langsam in die Flaschen laufen bis sie genau so voll sind, dass beim anschließenden Verkorken der Stopfen noch reinpasst, aber auch nicht mehr als 1 cm Luft zwischen Wein und Korken bleibt.

Das erfordert viel Fingerspitzengefühl und Augenmaß. Nach Herausziehen des Schlauches fehlt die Menge an Wein, die durch den Schlauch verdrängt wurde, gleichzeitig läuft eine Menge Wein nach, die sich noch im Schlauch befindet, aber eben nicht genau die fehlende ersetzt.

Alles läuft routiniert. Bis die ersten Flaschen verkorkt werden sollen. Die Handkorkmaschine macht zunächst einen guten Eindruck.

Und bietet Gelegenheit, die immer wiederkehrende Frage zu beantworten, wie eigentlich so ein Korken in den Flaschenhals kommt. Also jetzt: man drückt den Hebel nach unten.

Dabei werden durch starke Federn und einen Mechanismus im Inneren die braunen Kunststoffbacken zusammenschoben, die den Korken, der dort normalerweise eingelegt wäre, auf einen Durchmesser kleiner Flaschenhals innen zusammenpressen. Der Stift schiebt dann im gleichen Aufwasch den Korken in die Flasche.

Soweit die Theorie. In der Praxis steht diesem Ergebnis eine Vielzahl von Parametern im Wege: unterschiedlich dicke Korken unterschiedlichen Materials,

Flaschenhälse mit unterschiedlichem Innendurchmesser, vor allem aber leicht ausgeleierte und nicht mehr ganz exakt zentrierte Handkorkmaschinen.

Denn nicht nur die Backen müssen den Korken exakt mittig zusammenpressen,

auch die Flasche muss im Gerät präzise sitzen.

Ausgangspunkt der heutigen Krise war aber schon die vor Tagen beim Flaschenkauf getroffene Entscheidung, heuer Naturkorken zu verwenden. Wir wollten das einfach mal ausprobieren. Nachdem es in den Vorjahren mit unterschiedlichsten Kunststoffkorken kaum Probleme gab, kam auch niemand auf die Idee, Korkenkaliber und Flaschenhälse abzugleichen und die Frage zu stellen, ob man wirklich mit der Handkorkmaschine alle Arten von Korken in alle Arten von Flaschen bekommt. Die Dame im Fachhandel, die im Geschäft unseres Vertrauens meist eher mit frisch applizierten Fingernagelimplantaten glänzt oder vor der Ladentür eine Zigarettenpause macht, gibt ohnehin dem unwidersprochenen und nicht hinterfragten Kundenwunsch den Vorrang vor einer proaktiven Beratung und lässt uns auflaufen.

Die ersten Versuche sind frustrierend. Halb eingeschobene und oben verformt herausstehende Korken.

Und das Ergebnis ist bei allen drei Operateuren gleich. Das wird nichts. Wir wollen ausschließen, dass es die unpräzis arbeitende Korkmaschine ist und hoffen, dass ein Nachbar uns schnell eine leihen kann. Vorher ist unser Gerät beim Versuch, es innen zu inspizieren und eventuell zu justieren, hoffnungslos auseinandergebaut und –gefallen, beiseite gestellt worden. Der Nachbar hat zwar das gleiche Modell und leiht es gerne her, hält aber den Abfüllprozess weitere 20 Minuten dadurch auf, dass er vor Aushändigung eine Likörprobe verhängt. Wir sind nach all den Vorbereitungen eh schon reichlich spät dran, aber hier regiert die Höflichkeit. Prost.

Zurück zu Hause produziert das Ersatzgerät die gleichen Ergebnisse wie unser eigenes. Pech, aber wenigstens hatten wir Likör. Es wird zur Gewissheit, dass die Naturkorken zu dick sind und die Mechanik nicht stark genug ist, sie ausreichend zusammenzupressen. Sie sind auch elastischer und gehen schneller – schon beim Einschieben – wieder auseinander als die sonst benutzten Kunststoffkorken.

Den Tiefpunkt des Verkorkungsdramas hält das folgende Bild fest.

Der Verkorker bricht über der Maschine zusammen, nachdem eine möglicherweise nicht völlig exakt eingespannte und verkantete Flasche mit möglicherweise zu engem Hals durch einen möglicherweise asymetrisch zusammengepressten und möglicherweise zu dicken Naturkorken, durch die möglicherweise zu schnell und wuchtig ausgeführte Hebelbewegung des möglicherweise etwas genervten Korkenreinschiebers zerborsten und ihr Inhalt auf dem Boden verteilt ist.

Die Beschaffung von – nun wieder – Kunststoffkorken im nächst erreichbaren Landwirtschaftsbedarf kostet einen Autoritt über schlaglöchrige Landstraßen und eine weitere Stunde Verzögerung. Denn es will Abend werden.

Und aber als der Tag sich geneiget hat, sind wir dann doch fertig. Geschafft.

Jetzt noch die Sache mit dem Nagellack. Vor der Einlagerung in den Keller erhalten alle unsere Flaschen farbige Punkte. Die halten sich, anders als Papier, unter allen Bedingungen im Keller und sagen uns auch nach Jahren noch, um welchen Jahrgang es sich handelt und aus welchem Fass der Weins kommt.

Unser aller 2018-er Rotwein hat also lachsrosa Punkte.

Und damit: „Ite missa est“. Die 2018-er Messe ist gelesen. Wir melden uns aber wie versprochen noch einmal mit einer zusammenfassenden Nachbetrachtung von März 2018 bis Oktober 2019.

Damit aber alle gut schlafen und nicht von der bösen Korkenfee träumen, zum Schluss für heute noch ein Betthupferl, Bilder von der nächtlichen Wildkamera und damit verbunden die erfreuliche Nachricht, dass unser  Weingartenzoo Nachwuchs bekommen hat. Es sind zwei  Großwildarten, Rothirsche – Mutter und fast erwachsenes Kalb, beide stoisch wie Kühe vor sich hinkauend, wenn man die Serienfotos schnell durchklickt  –

und ein Rudel Wildschweine geworden.

Rechts direkt daneben – bitte beachten! – unsere Weinstöcke. We are gequält amused. Und sprechen über einen solar betriebenen Weidezaun. Neue Herausforderungen warten.

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