27. November 2018 – „Wann ist der Wein fertig?“ oder „Schmeckt er? Dann trinkt ihn!“

Jetzt oder nimmermehr kommt er, der versprochene Abschlussbeitrag zum Herbst 2018!

Schon seit 18. Oktober sind wir nämlich zurück in Frankfurt. Da lag der frische 2018-er Wein bereits 4 Wochen in zwei kleinen Fässern und zwei Glasballons im Keller:

(Die beiden Fässer ganz hinten rechts enthalten noch eine Tranche 2017-er Wein bzw. Wasser).

Von Gärung war nichts mehr zu sehen oder zu riechen. Ausgeblubbert. Die Gärverschlüsse bleiben trotzdem drauf, um den Kontakt des Weins mit Sauerstoff zu unterbinden. Die Gefäße sind nahezu randvoll, die mit Luft in Verbindung kommende Oberfläche des Weins ist so klein wie nur möglich.

Alle Tranchen mundeten zuletzt bereits interessant bis vorzüglich, aber das ist – man muss es leider sagen – nur ein vorläufiger Sachstand.  Mit dem sind wir aber zufrieden und kommen Anfang Januar 2019 wieder, um den Rotwein zum ersten Mal „abzuziehen“ und zu schwefeln.  Was „abziehen“ bedeutet und wie der Schwefel reinkommt werde ich dann berichten.

Dem Rosé hatten wird aber kurz entschlossen noch vor Abreise schon jetzt eine ordentliche Ladung Schwefel verpasst. Ein von uns geschätzter Winzer macht das bei seinen Weißweinen in diesem Stadium auch so. In den vergangenen Jahren hatten wir bei unseren nimmermüden Versuchen, auch mal guten Weißwein zu machen, immer wieder Probleme mit Fehltönen (Azeton-/Klebstoffgeruch, faule Eier, Nachgeschmack nach Papier und Pappe u.v.a. Nettigkeiten mehr). Also versuchen wir es wie vorgemacht und sehen wie es sich dann wirft. Im schlechtesten Falle lernen wir neue Weinfehler kennen. Im besten Fall bleibt der Wein wie er jetzt gerade ist, fehlerfrei.

Was werden nun der Rosé und der 2018-er Rotwein, im Keller auf sich allein gestellt, anstellen und warum schmecken sie erst einmal nur „vorläufig“ interessant bis vorzüglich?

Ganz kurz gesagt durchläuft der Wein jetzt gerade die so genannte Feingärung, klärt sich dabei und beginnt zu reifen. Dabei geht es ihm wie uns Menschen und den Äpfeln, die von den Bäumen fallen: Der Unterschied zwischen „Reife, reifen, reif“ und „Alter, altern, alt“ ist fließend und abhängig vom Einzelfall sowie immer auch subjektiven Bewertungen und Modeerscheinungen. Mancher Apfel fault schon am Baum, andere fallen herunter und liegen monatelang pumperlg‘sund im nassen Gras und warten darauf, aufgelesen und angebissen zu werden. Manche Menschen sehen mit 17 Jahren schon älter aus als Oma und Opa. Die beiden starten wiederum im kommenden Jahr in Hawaii, und zwar auf der langen Strecke.

Mit diesem bibelnahen Gleichnis von Apfel, Mensch und Wein will ich eine ausufernde fachliche Betrachtung über die biochemischen Vorgänge und technische Parameter und Verfahren gar nicht erst beginnen, mit denen man den Gang der Dinge lenken und beeinflussen kann. Wir  nehmen einfach nur mit, dass der – und jetzt kommt endlich der Begriff, auf den der liebe Leser so lange gewartet hat! – dass also der AUSBAU des Weines sich nicht an einem toten Objekt vollzieht, sondern dass der Wein ein überaus lebendiger und sich ständig verändernder Zeitgenosse ist. Für die Frage, in welchem Stadium man ihn am besten konsumiert, gibt es durchaus viele Sachkriterien sowie eine von mir hier heute unten abschließend verbreitete Weisheit, aber ungleich mehr zeitgeistgespeiste und imagegetriebene Irrationalitäten, die in dem weit verbreiteten unbeirrbaren Glauben gipfeln, dass guter Wein alt sein müsse. Meine klare Ansage: 95% aller Weine, die älter sind als 10 Jahre, gehören in den Ausguss. Farbe egal.

Der Ausbau beginnt dem Zeitpunkt nach wenn der Wein nach der ersten stürmischen Gärung zur Ruhe gekommen ist und für eine kurze oder längere Zeit in Gefäßen eingelagert wird – in große, kleine, ganz große, sehr alte, fast und ganz neue (Eichen-)Fässer, Kunststoff-/Edelstahltanks, Glasballons usf. –  um ihn besser, bekömmlicher, stabiler, haltbarer, runder, weicher, ausgewogener, holztöniger werden zu lassen. Die Reihe der Adjektive kann fortgesetzt werden.

Nach der Einlagerung durchläuft der Wein erst einmal die angesprochene Feingärung: der jetzt noch verbliebene wenige Zucker wird nur noch sehr langsam von den Hefen in Alkohol umgewandelt. Bei steigendem Alkoholgehalt stockt der Prozess und kommt spätestens bei etwa 16% völlig zum Stehen. Wenn nicht ohnehin der Zucker vorher komplett verbraucht ist. Oder die Temperaturen im Keller unter 6 Grad Celsius sinken. Denn auch dann stellen die Hefen das Fressen ein und halten Winterschlaf, selbst wenn noch Zucker im Angebot wäre. Bei steigenden Kellertemperaturen im kommenden Frühjahr geht es dann weiter. Und geht dann auch meist gleich über in eine zweite Gärung, bei der etwas mehr passiert als nur die Umwandlung von Zucker in Alkohol. Es werden dann auch Säuren umgebildet, aus Apfelsäure wird etwas mildere Milchsäure, der Wein bekömmlicher und runder. Wir kommen darauf zurück.

Für den Moment schauen wir auf den vor der Feingärung vielleicht sogar wichtigsten Vorgang in den kommenden Monaten, die „Klärung“, genauer auf die „Selbstklärung“: aus einer trüben Flüssigkeit entsteht wie durch Zauberhand bis Weihnachten ein völliger durchsichtiger Wein, der im gegen das Licht gehaltenen Glas „schillert“. In den Gefäßen sitzt dann unten der „Trub“. Die zahlreichen im Wein schwebenden Trübstoffe sind schlichtweg durch die Schwerkraft zu Boden gesunken, auch weil nach dem Ende der Gärung der Wein nicht mehr so stark durch freigesetzte Kohlensäuregase fortlaufend verwirbelt wird. Der Trub ist jetzt noch willkommen, weil ein Teil davon „das Geschmacksbild bereichert“ (wie mir google gerade souffliert), muss aber später raus, weil er es dann eben nicht mehr tut und vor allem die weitere Klärung behindert.

Jetzt zurück zum „Reifen“ resp. „Altern“ und dem „Ausbau“ des Weines. Das alles  umfasst eine Unzahl unterschiedlicher Umwandlungsprozesse und beteiligter Stoffe in der Flüssigkeit, die wir Wein nennen. Profis kennen davon die meisten und nehmen auf einen Teil davon mit technischen, aber auch biologischen Verfahren Einfluss: so ist es möglich, das im Wein enthaltenen Eiweiß und andere Trübstoffe zu binden und auszuscheiden (u.a. mit „Bentonit“), um Trübungen à la naturtrüber Ebbelwoi nach der Abfüllung zu vermeiden. Unangenehmen Beigeschmack, der von faulen Trauben kommt, hätte man ohnehin schon im Most durch Aktivkohle zu mildern versucht. Wenn Most oder Wein zu sauer sind, kann in allen Stadien mit Kalk entsäuert werden. Wenn durch Fehlgärung der Wein nach faulen Eiern riecht und „böcksert“ wird „Kupfat“ eingesetzt. Dies alles und noch viel mehr ist „zulässig nach den derzeit gültigen Gesetzen und Verordnungen“ und wird dann später auf  keinem Etikett deklariert.

Unsere Kupfat-, Bentonit-, Aktivkohle- und Kalk-Vorräte sind seit einiger Zeit unberührt, wir lassen den Dingen derzeit weitgehend ihren Lauf und reduzieren den „Ausbau“ unseres Rotweins auf die Benutzung von kleinen „getoasteten“ Eichfässern, das spätere Schwefeln und das Filtern vor der Abfüllung. Ziemlich unverzichtbar ist dabei im Moment vor allem die Nutzung von Holzfässern. Die geben Geschmack an den Wein ab, neue und „getoastete“ Eiche gibt dem Wein die begehrte „Barrique“-Note. Unser aller Geschmack ist so festgelegt – um nicht zu sagen versaut – dass Rotwein ohne diese Note kaum geschätzt wird. Man muss den Geschmack noch nicht einmal genau kennen und beschreiben können, einen holzgelagerten Wein unterscheiden auch Anfänger schnörkellos von einem im Glasballon ausgebauten. Bei unserem 2017-er, den wir im September gefiltert und abgefüllt haben, ist der Unterschied so markant, dass man nicht glauben mag, dass es sich um Wein handelt, der aus dem gleichen Gärbottich kam, aber lediglich anders eingelagert wurde. Ein bisschen selbstkritisch gesprochen: Holz- und Barrique-Töne sind so etwas wie das Glutamat oder das Maggi der Winzer und Weintrinker, die fertig gekaufte Marinade auf dem Grillgut der Kleingärtner. Kritiker sprechen sogar von „Maskierung“ des eigentlichen Geschmacks. Ein bisschen nivelliert die Methode nun tatsächlich alles in Richtung mainstream. Aber können wir aus unserer Haut? Verzichten wir etwa immer konsequent auf Markenartikel und verweigern uns dem Zeitgeist? Die letzten Märtyrer der unverstellten Natürlichkeit sind halt die hessischen Apfelweintrinker, wir aber ziehen unser modisches „Barrique“-Jäckchen ganz gerne an.

Jetzt wollen wir aber mal zu Ende kommen. Es muss ja nach all dem Ausbau irgendwann endlich auch einmal getrunken werden, wir wollen das Essen ja nicht kalt werden lassen. Wann aber EXAKT ist der Zeitpunkt dazu gekommen? Ich könnte jetzt – wie man das in jedem Degustationskurs lernt – sagen: dann, wenn das Verhältnis zwischen Alkohol, Säure und Restzucker im Wein eine harmonische Einheit bildet, wenn genug „Barrique“-Töne im Wein angekommen sind, wenn sich die Apfelsäure abgebaut hat. Wenn, wenn, wenn….

Die einfache Wahrheit liegt aber wohl in der Antwort unseres beratenden rheinhessischen Winzers auf die Frage verborgen, was wir denn jetzt tun sollten: „Schmeckt er? Dann trinkt ihn!“.

Nun gut, ein bisschen muss und darf er schon noch, wir warten jetzt erst noch einmal knapp ein Jahr auf das aufkommende „Barrique“-Feeling (und trinken ältere Jahrgänge)…..

Letzter Blick ins Gelände. Die Blätter sind bereits Ende Oktober vertrocknet, hier beginnen die Arbeiten für den dann 2019-er Jahrgang im kommenden Januar genau an dem Punkt, an dem dieses Tagebuch am 28. März eingesetzt hat, beim Schneiden und Biegen:

 

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.