Tag 13 – Von Vuhred nach Maribor

Dienstag, 23. Juni 2015

Der Plan

Mittags in Maribor die letzten Berge überwunden haben und dann im Flachland durchstarten

Wie es war, was geschah

Vuhred, 8.00 Uhr

Die Kücherin hat mich mit Spiegeleiern versorgt, ich bin wild entschlossen, die nächsten 47 km mit Anstand und nach der Pustertalmethode („man kann immer noch langsamer fahren als man es sich irgendwie vorstellen kann“) hinter mich zu bringen.

Maribor, 13.10 Uhr

Natürlich ist dann wieder alles ganz anders gekommen als gedacht. Und den Frosch, der man nicht sein soll, gebe ich heute mit großem Vergnügen. Mir sind durch die Fügungen des Wetters ein paar Strapazen erspart geblieben, ein freier Tag wurde geschenkt.

Zum dritten Mal in meinem Leben bin ich nun also in Maribor NICHT mit dem Fahrrad eingerollt.
An das erste Mal erinnere ich kaum noch. Es war wohl mehr eine Durchfahrt, auf der Rückreise von der damals noch jugoslawischen Adria bei Split, aus Togrir, auf dem Weg nach Frankfurt, irgendwann in den Siebzigern. Ein guter Freund und ich, waren unterwegs mit einem durchgerosteten R4 mit defektem Fahrersitz und wenig Bremsen. Im Kofferraum, in einer vor Ort gekauften Korbflasche, 30 Liter eines Rotweins, der uns dort unten so gut geschmeckt hatte, und den zu Hause natürlich niemand mehr trinken wollte. Auch das fällt mir heute zu Maribor ein.

Das zweite mal war ich hier im vergangenen Herbst zusammen mit meiner Frau. Wir waren ebenfalls nur auf der Durchreise und machten hier eine längere Fahrpause auf unserer Fahrt von Frankfurt nach Mucsi (sic!), die wir Abstechern an den Wörthersee, nach Ljubljana und eben auch nach Maribor verbunden haben.

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Vuhred, 9.30 Uhr

Heute nun bin ich mit der Eisenbahn gekommen. Denn kaum habe ich den letzten Punkt hinter die Notiz oben gesetzt und mich vom Frühstückstisch erhoben, setzt – ich habe den Fuß schon auf dem Pedal – der große Regen ein. Ich nehme das anfangs nicht so ernst und rechne mit einer Verzögerung der Abfahrt um ein, zwei Stunden. Nach einer Weile werde ich doch etwas nervös und befrage das www-Orakel. Die Auskunft ist niederschmetternd: Regen am Vormittag, noch mehr Regen am Nachmittag, Regen auch in der ganzen folgenden Nacht. Hier in Vuhred, aber auch in Maribor. Erst morgen soll es anhaltend besser werden.

Was jetzt? Mir ist nicht nach einer Schlammschlacht auf einer Radstrecke, von der ich ohnehin nichts Gutes erwarte, aber noch viel weniger habe ich Lust auf eine weitere Nacht in der Penzion Markac. Und ich bin ohne jedes Bargeld, nachdem ich verpennt habe, mir unterwegs welches zu besorgen, mir Markac eine überaus üppige Rechnung für das Abendessen aufgestellt hat, aber keine Karten akzeptiert. Dumm gelaufen, ich sitze in der Falle. Ein Automat soll im nächsten Dorf in der Richtung sein, aus der ich gestern gekommen bin. Dorthin durch den strömenden Regen, mit Gepäck, ohne Gepäck, zurück, anders weiter?

9.30 Uhr, die Kücherin schaut mit bedauerndem Lächeln und erhobenen Armen an die Decke und überweist mich in die Post um die Ecke. Dort kann ich zwar kein Geld „aufnehmen“, aber mein Hirn meldet sich und teilt mit, dass ich gestern schon seit Dravograd und bis hierher neben, über, unter einer Bahnlinie gefahren bin. Die Postmannschaft sagt zu meiner Erleichterung, dass es einen durchgängigen Zug nach Maribor gibt und recherchiert die nächste Abfahrt im Internet: 9.58 Uhr, noch 20 Minuten, die nächste Bahn geht 5 Stunden später. Ich nehme die Beine in die Hand und sammle in der Pension meine Sachen ein. Jetzt nur in der Hektik nichts vergessen. Die Kücherin malt auf den gleichen länglichen Kellnerblock, auf dem schon die vermaledeite Essensrechnung entstanden ist, ein paar Striche: „ein stras, zwei stras, banhof.“ Minuten später bin ich da, es gibt einen besetzten Fahrkartenschalter, selbstverständlich mit maestro-Symbol, meine allerletzte Sorge bin ich damit also auch los. Der Zug kommt in wenigen Minuten, der Schaffner hilft mir, das Rad mit aufgeschnalltem Gepäck fast einen Meter hoch in den Zug zu wuchten.

Drau, Drauregen, Zugfenster
Drau, Drauregen, Zugfenster

Die Bahnreise hinter beschlagenen Fenstern im geheizten Zug durch das enge, tiefgrüne, wie ein Dschungel dampfende Tal der Drau werde ich nicht vergessen. Zum trüben Wetter passend wird mir beinahe etwas sentimental. Schon seit einigen Tagen gehen mir ein paar Zeilen aus einem Ringelnatz-Gedicht, das mich schon an die 20 Jahre begleitet, nicht mehr aus dem Kopf:

„Vorbei – verjährt –
doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
ist leise.“

Das ist natürlich aus dem Kontext gerissen und unterschlägt nicht nur die beiden genialen Anfangszeilen „Ich habe Dich so lieb, ich könnte Dir ohne Bedenken, eine Kachel aus meinem Ofen schenken.“ Aber die Reisezeilen haben mich immer besonders berührt. Sind alle Reisenden entweder sentimental und wenn nicht, dann im Gegenteil euphorisch? Oder kann man beides gleichzeitig sein? Gleich, wer emotionslos reist, soll jedenfalls besser gleich zu Hause bleiben. Und ist es nicht so, dass das Reisen, die Bewegung, die Begegnung, das richtige Leben ist, das Verweilen an einem Ort nutzlos stillstehende Zeit? Die jahrzehntelange Arbeit in immer der gleichen Firma der happige Preis dafür, dass wir uns zeitweise frei und davon machen können? Natürlich ist das nicht die ganze Wahrheit. Man kann auch ohne sich fortzubewegen reisen. Nicht nur im übertragenen Sinne ist auch Schreiben, Komponieren, Malen und manche andere Beschäftigung – darunter das Kochen – eine Reise in unbekannte Gebiete.

Maribor am Nachmittag
Maribor am Nachmittag

Warum nur fällt mir kurz vor Maribor eine Lebensweisheit meines Freundes Lui, dem14.8., aus dem Jahr neunzehnhunderthaumichtot ein: „Gedanken sind die Grimassen der Psyche.“? Um 11.05 Uhr verlasse ich wie frisch gebeichtet und mit Absolution versehen den Zug. Das Hotel Piramida empfängt mich sinnigerweise mit einem Sinnspruch an der Wand hinter dem Rezeptionisten: „The world is a book, those who do not travel read only one page.“ Schon immer habe ich gewusst, dass auch noch in der letzten Plattitüde wenigsten eine Wahrheit steckt.

Den Rest des angebrochenen Tages verprivatisiere ich jetzt entspannt in Maribor. Morgen geht es weiter.

Die Zahlen

Tageskilometer: 0
Gesamtkilometer: 917
Fahrzeit Rad heute: 0

 

Tag 12 – Von Bleiburg nach Vuhred

Montag, 22. Juni 2015

Der Plan

Über die slowenische Grenze, evtl. bis Maribor

Wie es war, was geschah

Bleiburg, 9.40 Uhr

Das Fahrrad ist in der Werkstatt, in 30 Minuten geht es weiter. Unabhängig von den Speichenrissen hatte die Felge hinten wohl schon länger Risse und wäre wohl früher oder später sowieso kaputt gegangen, also gibt es ein neues Laufrad. Zufallsbefund.

Zu Bleiburg habe ich gerade gelesen, dass es hier zu Kriegsende ziemlich brutale Massaker gab. Reste der kroatischen und anderer Armeen, die mit Nazis kollaboriert hatten, waren von alliierten Truppen auf der einen Seite und von der jugoslawischen Befreiungsarmee (Tito?) auf der anderen Seite eingeschlossen. Mit den Alliierten wurde verhandelt, die Gefangengesetzen in Lager Richtung Osten zu deportieren. Es kam dann aber sofort zu Massenerschießungen, die meisten anderen starben auf anschließenden Todesmärschen, Soldaten und Gefangene vieler Nationen. Ich vermute, dass solche und weitere Ereignisse im Hintergrund ganz wesentlich die Geschehnisse im jüngsten Balkankrieg beeinflusst haben. Die Leute hier haben das im Kopf, wir wissen davon nichts.

Vuhred, 16.45 Uhr

Gegen 12 Uhr diesen Montag zum Ausruhtag erklärt, keine Pause, aber easy going.
Abfahrt in Bleifurt gegen 10.30 Uhr, genau 3.570 Meter nach Verlassen der Werkstatt ist der Hinterreifen platt. Nach kurzem Nachdenken und Zögern ist klar, dass ich selbst ran muss. Zurück müsste ich schieben, um nicht Gefahr zu laufen die neue Felge zu ruinieren und es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass die Panne etwas mit dem Reifenaustausch von heute früh zu tun hat. Wann in Richtung nach vorne dis nächste Werkstatt kommt ist sowieso unklar.

Ich richte unter der brennenden kärntner Sonne meine plein air-Werkstatt ein und streife die Latex-Handschuhe über. Das eigentlich Lästige ist, dass ich alles Gepäcke herungerschnallen muss und später penibel darauf achten, dass nichts aus den Taschen rollt und vergessen wird. Der Rest ist Routine, nur dass ich das Loch im Schlauch bei einer ersten Sichtung sofort finde, als ich aber mit der erhaltenden Behandlung beginnen will und schon Schmirgelpapier, Kleber und Flicken bereit liegen habe, ist das Loch unauffindbar. Jetzt muss transplatiert werden und ich baue den mitgeführten Ersatzschlauch ein, was ja eigentlich auch schneller geht, aber ich habe jetzt nur noch perforierten Ersatz. Nach 15 Minuten ist alles vorbei, ich packe neu und pumpe mit der kleinen Notpumpe per Hand den reifen notdürftig zum „halbweiche Gurke“-Grad auf. Damit ist der nächste Boxenstopp vorprogrammiert, ich brauche eine richtige Pumpe und außerdem vorsichtshalber einen neuen Ersatzschlauch.

Ich schleiche langsam weiter und interpretiere mal wieder ein Hinweisschild falsch, was mich wunderbare Ausblicke genießen lässt aber auch nochmals eineinhalb Stunden Zeit kostet. Mitten auf der einige hundert Meter langen und ziemlich hohen Jauntal-Eisenbahnbrücke („Fahrradfahren verboten. Fahrrad schieben erlaubt!“) treffe ich auf dem schwindelerregend gewöhnungsbedürftigen Fußgängerstreifen zwei Motorradfahrer, die ihre Maschinen drüben abgestellt haben, um mal herunterzuschauen, in Begleitung von Ötzi von den Enduro Senioren Austria („Dös is unsa Vöein“). Drüben angekommen zeigt der R1 in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Es gibt Häuser, eine Station vom Jauntal Bungy, aber alles ist verlassen. Einer der Kradler ruft für mich „den Peter“ an, der „könd si hiö aus“, der weiß aber nicht so genau. „Der Güntö“ geht nichts ran, was nun?

Da will uns ein bayerisches Radfahrpaar mit auf der Lenkradtasche platzierter Karte passieren, ich grätsche rein, bitte um Karteneinsicht und helfe den beiden ungewollt nicht in die Irre zu fahren. Es geht tatsächlich wieder zurück über die gruselige Brücke. Immerhin gibt es spektakuläre Fotos und die beiden sind froh, das ich sie angehalten habe. Wir sind auf Kurs, Ötzi und Co. werden mit Dank verabschiedet. Kurze Zeit später verabschiede ich mich von den Bayern, sie sind etwas langsamer als ich.

In Lavamünd um 13.30 Uhr endlich Luft für die Gurke und ein neuer Schlauch, ich bin wieder auf der Spur und mit allem Nötigen versorgt. Auch der Hinterreifen hat sich eingefahren, die Bremse kreischt nicht mehr wie eine Hyäne. Jetzt könnte man ein paar Stunden noch etwas reißen.

Bald überfahre ich die slowenische Grenze und freue mich über ein großes blaues Schild mit Fahrradsymbol: „D-3. Maribor 71 km“. Nur hat sich jetzt die Landschaft verändert. Die Drau wird weiterhin gestaut, ist aber sehr schmal geworden, sieht wieder aus wie ein richtiger Fluss und nimmt beinahe die ganze Breite des stark verengten Tals ein. Das müssen sich jetzt Haupt- und Nebenstraßen, die Eisenbahn und auch der Radweg teilen. Der wird jetzt auf die schmalen Erschließungwege der höher gelegenen Höfe und Kleindörfer verlagert und schlängelt sich über Rampen von bis zu 18% auf und ab durch das Gelände, über frostbeuligen Asphalt, über Lehm, durch den Wald, über Wiesen. Oft befinde ich mich weit über dem Fluss mit wunderbaren Ausblicken. Aber ich habe den Radweg nicht mehr exklusiv, die Anwohner fahren nach dem Motto „hier kommt doch nie einer“ immer auf der Ideallinie. Es ist klar, hier geh es nur langsam und mühsam vorwärts.

Bei „D-3. Maribor 47 km“ schenke ich um 16.15 Uhr nach kraftzehrenden 52 km der Penzion Markac in Vuhred mein Vertrauen und beschließe morgen zu sehen wie es weitergeht, minimal nach Maribor. Dort sollten aber solcherlei Bergfahrten für diese Tour abgeschlossen sein.

Derweil geht es auf 18.30 Uhr, die „Kücherin“, die für mich als einzigem Gast für diese Zeit einbestellt ist, sitzt sicher schon im Hubschrauber und wird mir „Karte“ kochen. Das Bier der Marke „Union“ läuft schon jetzt gut aus der Flasche.

Morgen soll es regnen, schaumermal.

Die Zahlen

Tageskilometer: 52
Gesamtkilometer: 917
Fahrzeit heute: keine Auskunft

Tag 11 – Von Villach nach Bleiburg

Sonntag, 21. Juni 2015

Der Plan

Weiter drauabwärts Richtung slowenische Grenze, soweit wie möglich

Wie es war, was geschah

Gestern in Villach in der Gaststätte der Hofbrauerei ein sehr ordentliches Ribeye mit Pommes und Grillgemüse.  Dazu 2 vollmundige aus hell und dunkel gemischte Biere. Den zweiten Teil des Steaks esse ich praktisch schlafend und stelle mir im Zimmer gegen 20 Uhr den Wecker auf das Frauenachtelfinale Deutschland Schweden. Am Morgen weiß ich noch, dass wir 4:1 gewonnen haben und Celia, Anja und Dzseni Tore geschossen haben. Ansonsten habe ich 10 Stunden wohli geschlafen. Von Villach bleibt dann noch, dass viele Informationen, auch die Speisekarten, zweisprachig deutsch und italienisch verfasst sind. Nach ein wenig Nachlesen ist dies weniger auf den Tourismus zurückzuführen als auf die bewegte Geschiche der Region. Dies zeigt sich später im Laufe des Tages noch einmal, plötzlich ist alles deutsch und slowenisch, insbesondere die Ortsschilder, trotzdem ich immer noch in Österreich bin.

Zum Abschied macht die Wetterfee und gleichzeitig Chefin des Hotel Mosser eine klare Ansage: „Das hält.“ Ich mache ehrgeizige Pläne und beschließe soweit wie möglich ohne größere Stopps durchzufahren. Um 9.20 Uhr besteige ich meinen rollenden Wäschetrockner, an den Hörnern des Lenkers flattern die nassen Fahrrradhandschuhe und die Überhandschuhe, die ich gestern zusammengeknäult im Helm vergessen und nicht zum trocknen aufgehängt habe. Nach den üblichen 10 Kilometern schalten die Beine auf  Vollautomatik, darum muss ich mich jetzt nicht mehr kümmern und gebe nur noch in der Gegend von Rosegg, als es ein paar Mal die ungeliebten Ausflüge weg vom Fluss in den Hang gibt, die nötigen Befehle zum Schalten oder langsamer fahren.

Passt gut zu "Cici oder Karte": Puntigamer
Passt gut zu „Cici oder Karte“: Puntigamer

Das ermöglicht mir heute 109(!) km am Stück mit ganz wenigen Trink- und Fotopausen durchzukurbeln, in netto 6 Stunden 50 Minuten. Mir und den Beinen nach wäre es noch weiter gegangen. Aber unterhalb Völkermarkt werde ich nach etwa 85 km von zwei am Hinterrad klingelnden gerissenen Speichen ausgebremst. Dass ich doch noch 34 km weitergefahren bin, hat mehr damit zu tun, dass ich vorerst nur auf Ortschaften getroffen bin, in denen ich auch um den Lohn eines erhalten gebliebenen Hinterrades nicht übernachten wollte, zudem habe ich auf so etwas einen Gasthof mit gegenüberliegender Fahrradwerkstatt gehofft und den auch gefunden, in Bleiburg. Weil ich mich ebenfalls unterhalb Völkermarkt unachtsam vom Radweg R1 auf R1E, später auch F, G und D, begeben habe, bin weit von der Drau abgekommen und unplanmäßig und unerwartet in Bleiburg gelandet, einer Zufallsbekanntschaft, aus der vielleicht noch etwas größeres werden könnte, vorausgesetzt natürlich, dass die Speichen morgen früh zügig und ordentlich gerichtet werden. Das Rössl, in dem ich abgestiegen bin, ist schon mal ordentlich, wenn auch schlicht. Es gehört zur 30-ÜF-Klasse und hat die entsprechende Küche, die slowenische Bedienung sagt an: „Zum Essen gibt es Cici oder Karte“. Nach einem Blick in letztere entscheide ich mich für die Cevapcici, davor Frittatensuppe, dazu das nun schon zweite formidable Bier der Marke „Puntigamer“. Damit wird der Abend ausklingen.

Vom übrigen Tag noch ein paar Takte zur Drau als solcher, Tierbeobachtungen und der Gegend, in der ich mich bewegt habe.

Die Drau habe ich ja nun seit drei Tagen und seit Toblach nicht mehr verlassen, der Radweg R1 verläuft fast durchgehend nah am Fluss und verlässt ihn selten und wenn, dann auch nicht mehr als für ein paar hundert Meter. Seit Villach bis jetzt ist rechts der Kamm der Karawanken zu sehen, unten bewaldete steil aufsteigende Vorberge, darüber hoch aufragende Felsspitzen. Jenseits ist schon die ganze Zeit die Hochgebirgsregion Sloweniens, ohne es zu sehen passiere ich  auf der Kärtner Seite Kranjska Gora, Bled, Kranj und bald wohl auch die Hauptstadt Ljubljana. Links der Drau in etwas das Gleiche, nur ohne Felsspitzen. Ein hoher bewaldeter Kamm liegt ebenfalls vor einem parallelen Nebental, in dem sich der Millstätter und der Wörthersee befinden. Auf meiner jetzigen Position, Bleiburg, sind die Abflüsse der beiden Seen bereits in die Drau geflossen, auch Klagenfurt habe ich bereits passiert.  Eine empfehlenswerte Variante meiner Reise könnte sein, in Villach über die Höhe zu Millstätter und Wörthersee zu wechseln und mit deren Abflüssen wieder zur Drau zurückzukommen. Ich selbst war dort aber erst im letzten Herbst und hielt es für verzichtbar, das nun aber wirklich komplett unsägliche Roy Black-Denkmal in Velden ein zweites Mal zu besuchen. Und Klagenfurt? Nun gut, aber Udo Jürgens ist ja nun auch nicht mehr.

Draustau
Draustau

Zurück zur Drau. Auf meiner heutigen Etappe ist die mitunter sehr breit und schweigsam geworden. Ihre Oberfläche kräuselt sich mehr vom Wind als der Strömung. Bereits seit kurz hinter Sachsenburg wird der Wasserstand durch Staustufen reguliert, seit Villach reiht sich ein Kraftwerk an das andere. Die Drau ist eine schier endlose Kette von langgezogenen Stauseen, mal sehr breit, mal schmaler. Gerauscht und geplätschert wird jetzt nur noch an „Achtung WEHRSCHWELLE, nicht weiterfahren!“. Das Schild richtet sich natürlich an Bootsführer, enthält aber ein mir bis dato unbekanntes Wort, das reflexartig in mir die Frage auslöste, ob denn ein einzelnes Element einer solchen Schwelle ein Wehrschwellkörper ist. Und ob es aus aufsichtsbehördlicher Sicht auch Bundes-, Landes- und Kreiswehrschwellkörper gibt, am Ende sogar Feuer- und Bürgerwehrschwellkörper.

Zum Schluss für heute etwas aus Flora und Fauna. Gegen Mittag gelang mir auf einem Flussabschnitt namens Rosental, völlig unerwartet die Entdeckung einer gänzlich neuen Tierart, nämlich des Draubentauchers. Diese Beobachtung ist umso höher zu bewerten, als das Tier dem verwandten Haubentaucher zum Verwechseln ähnlich sieht. Es unterscheidet sich aber doch ganz wesentlich dadurch, dass es ausschließlich in Kärnten in der Drau neben Radfahrern schwimmend existieren kann und somit endemisch ist. Einer großformatigen Portraitaufnahme entzog sich das stark entengroße Tier durch einen Tauchgang. als es weit draußen wieder zu Tage trat, gelangen nur wenige, wahrscheinlich unscharfe Aufnahmen mit weit aufgerissenem Teleobjektiv.

Angestachelt durch diese Sensation mache ich mich gleich morgen an die Entdeckung des Draubfrosches und des Drauhfußhuhns. Von Draubfischen möchte ich absehen und über der Wasserlinie bleiben. Leserzuschriften mit Forschungs- und Entdeckungaufträgen sehe ich gerne entgegen. Aber bitte keine so Albernheiten wie „Draubvögel“! Die sind längst alle entdeckt und beschrieben, ausnahmslos, einschließlich der Draubmöwe und des Draubenpiepers. Da ist nichts mehr zu holen.

Die Zahlen

Tageskilometer: 109,5
Gesamtkilometer: 862,5
Fahrzeit heute: 6 Stunden 51 Minuten netto

Tag 10 – Von Sachsenburg/Drau nach Villach

 

Samstag, 20. Juni 2015

Der Plan

Weiter Drau abwärts, Tagesziel offen


Wie es war, was geschah

Abfahrt aus Sachsenburg gegen 10 Uhr, völlig übermüdet. Die halbe Nacht und den Morgen seit 5 Uhr damit zugebracht, Berichte und Fotos der letzten beiden Tage aufzuarbeiten. Komme mit der Vielschreiberei, der automatischen Wortvervollständigung, dem umständlichen copy & paste, der Bildbearbeitung und überhaupt der Tastatur auf dem kleinen Bildschirm nur schlecht zurecht. Immerhin habe ich herausgefunden, dass ich verschiedene Sachen besser mit verschiedenen Tools mache: Texteingabe und -bearbeitung mit der WP-app, Fotoeingabe mit der Desktopversion im Browser. Es könnte fortan also besser laufen.

Sattel besteigen mehrmals hinausgezögert, Sitz des Gepäcks überprüft, lustlos durch den Ort geschoben. Es ist zwar hell, aber diesig und kühl, luftiger bis leichter Niesel. Es fühlt sich wie ein Hänger an. Aus Trotz dann doch 3 Stunden 15 Minuten mehr oder weniger auf einen Rutsch 59 Kilometer, gesponsert von der Firma Rückenwind und Söhne, nach Villach gewuchtet, wenn auch mit kurzen Unterbrechungen.

In Lensdorf erbost mich eine aus Unterführungen und Brücken gebastelte Laokoon-Schikane und hält meine flaue Stimmung am Leben. Nach gefühlten 1.000 Metern bin ich 10 Meter vom Beginn der Schleife entfernt, auf der anderen Seite der Bundesstraße, wo der Weg dann weiterführt ohne die Straße überquert zu haben. Sicherheit, verstehe, aber an so einem Tag braucht das kein Mensch. Geht scheißen!

In Spittal nehme ich mir vor, allenfalls vom rollenden Gerät aus ein paar Belegfotos zu machen und die Füße nicht auf den Boden zu setzen. bei der vergeblichen Suche aber auch irgendwie geeigneten Motiv verliere ich den Radweg und begebe mich über Lidl und Co. auf mehrere unfreiwillige Schleifen durch eine grautriste Stadt, die ich gar nicht sehen wollte, verblockte Wohngebiete, ein Sägewerk, Jägerzäune. Wegen dem was ich gesehen habe, hätte man Spittal nicht gründen müssen, das taugt allenfalls zu einer Städtepartnerschaft mit Crailsheim.

Es ist Samstag. Das merke ich nicht nur am vermehrten Verkehr auf dem Radweg, sondern um punkt 1200 auch am Schalldruck des Probealarms, der mich unvorbereitet von der Seite trifft und beinahe vom Deich schiebt.

Dann rollt es plötzlich doch, ich mache Kilometer um Kilometer mit einem beinahe 20er Schnitt, der Niesel wird dichter. Ich freue mich über meine fußlosen Beinlinge, die seit einer Weile mein Lieblingskleidungsstück geworden sind und wie eine zweite Haut Beine und Knie wärmen. Der Tritt wird nach 20 Kilometern rund und weich, mir schwant warum der Profiradfahrer sich vor dem Rennen stundenlang warmrollt. Mit zunehmendem Regen ziehe ich zuerst die Kapuze der Regenjacke unter den Helm und komme dann auch wieder auf die isarbewährten Gamaschen und Überhandschuhe zurück. Von einer Dame aus einer Gruppe, die ich schon mehrfach überholt und wieder vorbei gelassen habe, lasse ich mich beim Halt unter einem Baum in voller Montur für die Nachwelt ablichten.

Apropos Fahrgemeinschaften: Viele Gruppen und Einzelfahrer treffen sich zwar stundenweise einmal häufiger, man plauscht und tauscht sich aus, geht aber keine stabilen Seilschaften ein und ist um seinen eigenen Stiefel bemüht. Niemand will sich ziehen lassen oder jemand anderen mitnehmen. Die meisten wissen ganz gut was sie können und sind nicht zum ersten mal auf Tour. Ausnahme: Kleingruppen von 14- bis 18-jährigen Jungs, die weit nach vorne über den Lenker gehängt riesengroße Gänge treten und im Affenzahn den Hang hinauf vorbeiziehen. Die stehen aber meist oben und keuchen grußlos wenn unsereins vorbeikommt.

Um mir zu Zeit zu verkürzen denke ich ein wenig vor mich hin. Anfangs darüber wie es die nächsten Etappen so weiter geht. Die Tage werden sich teils wiederholen, der Reiz, eine wunderbare Landschaft zu durchfahren, wird schwächer. Das übergeordnete Ziel, die Mündung der Drau in die Donau, muss zunehmend als Motivation herhalten, ohne nachzulassen weiterzufahren. Wann genau wird es neue Herausforderungen und Aufgaben geben? Wann endet die wie ein Autopilot wirkende engmaschige Führung durch die Radwegbeschilderung? Seit Donauwörth fahre ich ohne Karte oder irgendeine morgendliche Vorbereitung auf Routen, die als Fernwanderwege angelegt sind und mir alle 300 Meter sagen wo es lang geht. Spätestens im Länderdreieck Slowenien, Ungarn, Kroatien muss ich anhand kleinmaßstäblicher Karten mir selbst einen Weg suchen und von Dorf zu Dorf Entscheidungen treffen.

Und wieder lege ich mir bei laufenden Betrieb ganze Absätze wie den vorigen für den Blog zurecht, die ich jetzt bei der Niederschrift nur noch beinahe wortgleich wieder abrufe. Das kommt meiner Neigung entgegen, direkt aus dem Geschehen heraus zu berichten oder anders gesagt so zu formulieren, als wenn etwas gerade in der Sekunde geschähe, in der es gelesen wird. Diese Art des Schreibens bezeichnet der Literaturwissenschaftler als Simultanismus und ordnet sie gerne ungarischen Schriftstellern zu wie Kostolany oder Szėp (s. „Die Liebe am Nachmittag“). Das verbinde ich derzeit nolens volens mit starken Verkürzungen und erfinde dafür während es zu schütten beginnt den Begriff Android-Stil – keinen verdammten Buchstaben mehr als man zwingend auf diesem Screen tippen muss!: „Gegessen. geschmeckt.“ Alles gesagt, Rest Kontext.

Wo ich schon dabei bin und immer bessere Laune bekomme – der richtige Bub jammert eben nicht über den Regen, sondern fährt mit Wolllust mitten durch die Pfützen und Schlammlöcher! – lege ich aus jeweils gegebenem Anlass noch ein paar Lehrsätze für die Radschulfibel drauf, die ich für die „Satteltasche“ vorsichtshalber auf mein Smartphone diktiere. Den Lehrsatz „nasser Lehm“ habe ich sinnigerweise schon parat BEVOR ich an einer besonders seifigen Stelle plötzlich nur noch einen ein Meter breiten abschüssigen und glatt gemähten Grasstreifen entfernt von den türkisfarbenen Fluten der Drau navigiere. Der zweite zum Thema „hochspritzender Dreck“ kommt mir als der orangerote Überzug meiner Sachentasche zunehmend den Habitus eines Fliegenpilzes annimmt.
Auch alles andere ist anders als aus dem Ei gepellt, ich beginne mal wieder zu verschlammen.

Da ich in Villach unbedingt eine Pause machen und heiße Suppe haben will, mir aber nicht vorstellen kann, mich aus den klammen Klamotten zu schälen und anschließend wieder hinein zu werfen, mir urplötzlich eine warme Dusche und ein Fernseh- und Blogschreibnachmittag als Maß aller Dinge erscheint, breche ich ab und nehme spontan und etwas überteuert für 68 ÜF Quartier im alteingesessen plüschigen Hotel Mosser. Suppe gegessen, jetzt Sonne. Blog geschrieben, jetzt Stadt. Bericht morgen, heute Fußball. Fotos, mal sehn.

So ist aus einem brummeligen, vermurrten Tag doch noch ein Schwänchen geworden. Und anderen ging es schlechter. In der Stadt endete ein Amateurradrennen. Zwei Mitfahrer stehen zitternd in Wärmefolien gehüllt an der Rezeption und jammern über das Rennen, das über zwei knackige Alpenpässe von Kärnten nach Kranjska Gora in Slowenien und zurück ging. Auf dem Wurzenpass hat es gehagelt. Aber wie gesagt: Rennen vorbei, jetzt Sonne.

Die Zahlen

Tageskilometer: 59
Gesamtkilometer: 753
Fahrzeit heute: 3 Stunden 15 Minuten

Tag 9 – Von Innichen nach Sachsenburg/Drau

Freitag, 19. Juni 2015

Der Plan

Drau abwärts solange die Beine tragen

Wie es war, was geschah

Ab in Innichen um 9.30 Uhr, nachdem ich noch einen freundlichen Fotoladeninhaber an einem normalen PC-Bildschirm habe überprüfen lassen, ob meine letzten Fotos OK sind. Gestern ist die Kamera bei einem Selfie vom Fahrradsattel auf den Asphalt geknallt. Entwarnung, alles paletti.

Der durchgängige, luxuriös geteerte Radweg folgt der Drau aus Innichen heraus in sanfter Neigung abwärts durch eine breite wiesenbestandene Hochebene. Der Bach wächst immens schnell zum Fluss, unzählige Rinnsale liefern von der Seite Wasser aus den Bergen.

Erst bei Silian und nach etwa 20 Kilometern beginnt der eigentliche Abstieg von der Toblacher Höhe. Der Fluss nimmt Fahrt auf und springt in Kaskaden über Felsen ins Tal. Der Radweg folgt stets in Sicht- und Hörweite und schlängelt sich mit einem Gefälle von bis zu 10% durch den kühlen, schattigen Wald. Da nichts weiter zu tun ist, kommt ein Gefühl auf wie auf den Schienen einer Sommerrodelbahn zu fahren. Man darf nur beim Zurücklehnen nicht das Lenken vergessen. Ein Radweg wie für Saarländer: „Hauptsach‘ gut gerollt….“

Gelegenheit, sich Gedanken zu machen und alberne Kalauer in die Welt zu setzen. Zum Beispiel zu dem Thema, wie es zu all den zahlreichen und aufdringlichen Warn-, Hinweis-, Gebots- und Bittschildern entlang der Strecke gekommen ist. „Bitte die nächsten 500 Meter nicht anhalten.“. Immer wieder gibt es mit orangen Oststfriesennerzen ausgestattete Vogelscheuchen, die Schilder vor sich halten wie: „Für die besonders Klugen: Wir wollen weder der Hundekot noch die benutzten Säckchen in unseren Feldern!“. Oder: „Es ist leichter Müll wieder mitzunehmen als ihn im Wald zu deponieren.“. Hier muss in der Hauptsaison irre was los sein. Wahrscheinlich rast unter anderem der Italiener als solcher rasant mal sowieso den Berg hinunter, telefoniert dabei und isst aus der anderen Hand einen salumierten Panino. Wenn die Semmel zu Ende ist, wirft er oft das i-fonino in die Wiese und versucht, mit dem leeren Butterbrotpapier weiter zu telefonieren. Davor muss man ihn natürlich bewahren. Und dafür also all die Schilder. Um das zu verstehen, muss man natürlich erst einmal mit dem Rad von Frankfurt hierhergekommen sein ….

Derweil bildet die Drau zum ersten Mal ein hochgebirgstypisches Schotterbett. Solche Beobachtungen und Gedanken (s.a. „Satteltasche“) treten bei km 40 wieder in den Hintergrund, weil Fluss und  Radweg Gefälle herausnehmen, es auf Lienz zu flacher wird und der Radfahrer die bislang überflüssigen Beine wieder in Betrieb nimmt.

Lienz bei Kilometer 43, 12.30 Uhr, Cappuccino.

Ach, noch eine Kleinigkeit: von Toblach gelangt man nicht direkt nach Kärnten, wie ich die ganze Zeit annahm. Lienz liegt vielmehr im Bundesland Tirol und ist Verwaltungssitz  es gleichnamigen Bezirks bzw. der Region Osttirol. Peinlich.

Nach Lienz volle 14 km schnurgerade auf einem asphaltierten Damm entlang der begradigten Drau durch das breite, am Grund brettglatte Flusstal. Links und rechts mal näher, mal weiter Berge, hier unten gibt es nicht viel zu sehen und Neues zu berichten. Ich formuliere Sätze für den Blog vor: „An einer nicht besetzten Angelstelle in die Drau gepinkelt. Das gehört bei einer solchen Tour einfach dazu, da muss man sich nicht so anstellen.“ Leider kommt keine solche Stelle, weswegen die Anführungszeichen und diese Erläuterung stehen und die zitierten Sätze das bisher einzige fiktive Element in diesem Blog bleiben und ich es beim wahrhaftigen Erzählen und Berichten belasse.

Am Ende der langen Geraden treten die Bergwände wie ein Tor wieder näher an den Fluss. Nach Durchfahren bin ich in Kärnten.

14.30 Uhr, km 63, Einkehr in Oberdrauburg, Currywurst, Kartoffelsalat, Plastikbesteck, Cola. Die von Elisabeth W. anempfohlene Übernachtung in diesem Ort schlage ich aus, es ist noch zu früh. Aber ich schreibe das schon in mein Heft bevor die Wurst da ist. Habe begonnen, in den Pausen Notizen zu machen. Zwischendrin simst ein ungarischer Bekannter mein Handy an und erkundigt sich nach Gebühren für Dollargeschäfte in Deutschland. Ich schmunzele, was für ein Tag…..!

Die Currywurst war laktosefrei. Dies, ein zeitweise frischer Wind und mein zuverlässiges LC75, das ich an dieser Stelle wie ein treues Pferd zum ersten Mal namentlich erwähne, erlauben mir nach dem Essen noch einmal 41 km draufzulegen. Zeitweise glaube ich ernsthaft, dass ich die Marke 119 km und damit Spittal erreichen kann. Aber bald führt der Radweg eins ums andere Mal und wieder und immer und wieder und wieder vom Fluss weg und folgt der in Schlangenlinien auf und ab und auf und ab und auf führenden und die höher gelegenen Einzelhöfe verbindenden Seitenstraße. Mir geht die Puste aus.

Zudem zwingt mich ein heraufziehendes Gewitter zu zwei Pausen. Die erste verbringe ich vorsichtshalber untergestellt ohne dass etwas passiert, bis ich mir sicher bin, dass das Gewitter an den Bergen hängen geblieben ist. Kaum bin ich beruhigt losgefahren, fängt es an zu tröpfeln. Ich rette mich vor dem folgenden Schutt noch unter das Dach eines zur Straße hin offenen Geräteschuppens. Vor meinen Augen ein unerwartetes Schauspiel: eine Handvoll bis gerade eben stoisch vor sich hin weidender Kühe fängt bei den ersten Tropfen das Laufen an und flüchtet im gebockten Galopp in Richtung des nahegelegenen Gehöfts. Dort bleiben sie wiederum ruhig stehen. Niemand lässt sie rein. Ich erkenne aber die Zeichen der Zeit, lasse Spittal sausen, fahre nur noch die 100 km rund und nehme Quartier im Goldenen Rössl in Sachsenburg an der Drau.

Das Rössl wirkt zunächst etwas spröde, ich erwarte eine Art Arbeitsübernachtung vor neuen Taten morgen. Nach dem Duschen überraschen mich die Auswahl und die Qualität der angebotenen Weine, darunter ein trocken vergorener gelber Muskateller. Beim späten Abendessen verzückt mich eine üppige Portion perfekt gegarten und mit Raclette-Käse gratinierten Spargels, begleitet von superben jungen Kartoffeln und ein wenig Serrano. Die aufgelegte Lavendelblüte adelt das Gericht. Vom Zweigelt müssen wir nicht sprechen.

Ite hodie missa est. Mehr geht nicht.

Die Zahlen

Tageskilometer: 104,4
Gesamtkilometer: 694,4
Fahrzeit heute: 5 Stunden 40 Minuten netto, etliche Pausen

Tag 8 – Von Mühlbach nach Innichen

Donnerstag, 18. Juni 2015

Der Plan

Pustertal aufwärts fahren soweit wie möglich, nicht überdrehen.

Wie es war, was geschah

Angekommen auf meiner Reise, endlich, in doppeltem Sinne.

In aller Ruhe, mit Geduld und Zurückhaltung, ohne jeden Druck das Pustertal bergauf fahrend in einem Rutsch gemeistert. Ohne Eisenbahn, aber mit viel Pausen und konsequentem Schieben an steilen Stücken. In der Ruhe lag die Kraft. Habe mit „dem Berg“ gekämpft, nicht gegen ihn. Habe sogar mit ihm gespielt, indem ich eine breite nicht weiter befahrene, steil nach oben gehende Asphaltstraße in flachen Serpentinen von Rand zu Rand „gestreckt“ habe. Und mir dabei ein paar Kilometer extra eingehandelt habe, weil ich beim Spielen ein Schild übersehen haben muss. Erst der Hinweis, dass Grödner und Sellajoch gesperrt seien und Arraba 28 km voraus läge, hat mich dazu gebracht, meinen Kurs zu korrigieren und zurück auf die Strecke gen Toblach zu fahren. Gelacht, denn heute hat das Fahrgefühl gestimmt.

Und ich bin kurz nach Überquerung der Passhöhe bei Toblach (1.209 m) in Richtung Kärnten an der Drau angekommen und unmittelbar danach in Innichen in der Pension Patzleiner abgestiegen. Die 9. Etappe beginnt morgen also nicht irgendwo, sondern direkt am Ursprung der Drau. Vor mir liegen jetzt rund 750 reine Flusskilometer, ganz überwiegend bergab, durch Kärnten, Slowenien, Ungarn und Kroatien. Die Reise beginnt hier von neuem.

Die heutige Etappe ging von Mühlbach auf einer Höhe von rund 800 m, nach freundlichem Abschied vom Seppi-Wirt, über Bruneck nach Toblach und schließlich Innichen, wo ich jetzt in einem sehr schönen Gasthof sitze und erst Gerstensuppe, dann Bandnudeln mit Rehragout esse, dazu erst Gewürztraminer, dann Blauburgunder aus Bozen bzw. Magreid trinke.

Insgesamt waren 400 Höhenmeter zu überwinden, die bezogen auf die Länge der Strecke überwiegend nicht ins Gewicht fallen. Denn der durchgehende Radweg orientiert sich immer an einem Fluss, der Eisenbahn oder der Staatsstraße und geht nur selten über buckelige Seitenwege. Eine etwas spitzfindige Quelle im www weist allerdings auf, dass aber schon allein wegen dieser Abweichungen von der Ideallinie kumulativ insgesamt mehr als 700 Höhenmeter zu meistern seien, da man ungewollt ebenfalls kumulativ 300 wieder abfährt. Auf der Strecke selbst ist diese Rechnung aber ziemlich uninteressant.

Lediglich eine darin gar nicht enthaltene Umleitung wegen Bauarbeiten am Fahrradweg hat es in sich. Schier endlos schraubt sich der Weg steil und humorlos durch einen bewaldeten Berghang. Ein mittsiebziger e-bike fahrendes Ehepaar aus Trier teilt mein Schicksal, auch sie schieben große Strecken. Bergbekanntschaft für knapp zwei Stunden. Sie sind unterwegs von Landeck in Tirol nach Spittal im Kärnten, dann mit dem Zug nach Hause. Zu aller Erleichterung müssen wir die auf der Umleitung erkletterten Höhenmeter später nicht wieder „abgeben“, sondern landen ohne größere Abfahrt oberhalb der Baustelle wieder auf dem Radweg.

Das war schon hinter Bruneck und kurz bevor ich beinahe nach Arraba abgebogen wäre. Wiederum später, nach einem Blick nach links ins Antholzer Tal und einem Spaghetti-Eis in Olang unerwartet bald und leicht in Toblach angekommen. Auf der sanften Abfahrt nach Innichen erkenne ich die Hinweisschilder auf die Drauquelle nicht als solche und fahre noch einmal 3 Kilometer mit leichten Beinen zurück.

Dennoch bin ich am frühen Abend plötzlich völlig erledigt und wohl auch von der Höhe etwas beeinträchtigt. Gott sei Dank ist mein freier Internetzugang in der Pension auf 15 Minuten begrenzt, diese Notiz verfasse ich mit der Hand beim Essen und werde sie später in den Äther jagen. Für heute ist Schicht.

Die Zahlen:
Tageskilometer: 69,74
Gesamtkilometer: 589,97