Von der roten Mainquelle abwärts (Etappe 4)

6. Juli 2019

Am Ende des Tages Würzburg, holterdipolter auf den letzten Drücker mit einer kalten Flasche Bier in den Regio nach Frankfurt. Gleis 10, Aufzug kaputt, gepacktes Rad die Treppe hoch. Bis hierher zu kommen war am Morgen auch eine Möglichkeit, wenn auch eher eine entfernte.

Der Tag beginnt in Schweinfurt dort wo das Fahrrad im 6. Stock eines Panorama-Hotels im Konferenzraum „Maintal“ schlafen durfte und wo es ein Frühstück gibt, dem nichts mehr hinzuzufügen ist. Für einen weiteren Anrichtetisch wäre in dem kantinengroßen Raum ohnehin kein Platz gewesen. Ich ergötze mich an leckerem Geflügelwurstsalat, Senf-Curry-Gurken, gegrillten Paprika gelb-rot, Oliven, Mozzarella- und Tomatenscheiben mit wirklich gutem Olivenöl, es kann nicht deftig genug sein. Mohn-Aprikosenmarmeladen-Brötchen mit laktosefreier Butter, Trauben, eine Banane, 3 Tassen Kaffee.

Mehrfach versichere ich mich beim Frühstück dessen, was das Internet gestern schon  gesagt hat. Da, wo ich vor Würzburg und dem wahrscheinlichen Ende dieser Fahrt zum letzten Mal übernachten könnte, gibt es nur noch in einem einzigen Hotel in Kitzingen Zimmer. Nicht aber in Volkach, Ochsenfurt, Marktbreit, Sommerach oder anderen Orten. Und das sagen nicht nur die Ähb, sondern auch die Buchungsseiten der Gasthäuser selbst. Klingt ernst.

Festlegen auf Kitzingen will mich jetzt aber noch nicht und fahre trödelig gegen 10.30 Uhr los, auch weil es gleich zwei Mal Boxenstopp in Fahrradgeschäften gibt. Beim ersten ziehe ich mit geliehenem Werkzeug die falschen Schrauben am lockeren Lenker fest. Beim zweiten packt dann Gottseidank und kostenlos in Bergrheinfeld kompetentes Fachpersonal zu und streut gehörig Spott über meine verschlissene, beim Schalten gelegentlich durchrutschende Kette und die “Bremsbeläge, ja Gott, wenn ich die Bremsbeläge sehe, eijeijeijei …”. Der übliche Schmäh halt, wie auch unter Motorradfahrern oder Wohnmobilbesitzern. Aber immerhin lobt man mein ”LC-75” über den grünen Klee: “Tolles Fahrrad”, auch noch nach 15 Jahren. Und wer seit 60 Jahren Fahrrad fährt beherrscht sein Gerät auch mit diesen Mängeln. Schaltet sich halt wie ein alter „Bulldock“ mit Zwischengas.

Das kann erzählt werden, weil ja sonst in der ersten Stunde auf der längeren Ausfahrt heraus aus Schweinfurt nur von Bahnunterführungen, Gewerbegebieten, Kühltürmen, Staustufen, Tankstellen, Discounter-Filialen berichtet werden könnte. Allenfalls noch davon, dass das pragmatisch-praktische der deutschen Kleinstädte und Dörfer auch heute wieder zu Tage tritt: “Sonderaktion: 21 Jahre Frühstück”. Und warum soll eine Straße nicht “Nutzweg” heißen oder ein Schild “Weg wird nicht gestreut” auch im Sommer hängen bleiben?

Der schönste Teil der Reise neben dem Abschnitt zwischen Bayreuth und Kulmbach beginnt dann aber doch endlich um Wipfeld und Unter- oder Obereisenheim herum. Es mehren sich die Weinberge, die irgendwann dann endlich ein nicht abreißendes Band grüner Rebzeilen bilden.

Der Main hat zunächst noch ein breites Tal, auf den kommenden 50 km beginnt er in etlichen engen Schlingen zu fließen. Bis ganz am Ende auf Sommerhausen zu fallen die Hänge immer wieder oft auch steil direkt bis ans Ufer herab. Die allersteilsten Lagen, obschon noch deutlich erkennbar ehemalige kleinere Weingärten, sind aber nicht mehr bestellt. Dafür haben die trotz der Hangneigung noch mit modernem Gerät zu bewirtschaftenden Rebflächen immense Ausdehnungen.

Dass die Zeit nicht stillsteht erzählt auch der Wind, ständig liegt ein Hauch von Pflanzenschutzkombipräparaten in der Luft. Im Tal immer auch wieder der betörende Duft von auf 30 Grad erwärmter Gülle. Es ist heiß heute, wolkenlos. Im Flachen, wo kein Wein steht, Gemüsegärtnereien, Mais, Spargel, Obstbäume, Getreide, weite Wiese und einmal auch das Gold der fruchtbaren Ebenen: Zuckerrüben.

Irgendwo unterwegs gehen in irgendwelchen  Flussvertikeln auf der anderen Seite Dettelbach und Escherndorf und auch ein Ausflugslokale verloren, in dem wir mal “Meefischle” gegessen haben. Leider kann man nicht auf beiden Seiten gleichzeitig fahren, trotz der vieler Fähren.

Auf Volkach zu wird mir die Gegend aber ohnehin vertrauter, wir waren mehrfach hier mit dem Auto, Wein kaufen, Kirchen und Kapellen betrachten, da kann Dettelbach gerne drüben bleiben.

Dafür kommen die kleineren und größeren Meister der fränkischen Kunst in den Sinn, die vorwiegend in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jede Stadtansicht im weiten Umkreis, jede Mainbiegung gezeichnet, graviert, in Holz geschnitten oder gemalt haben: die Schiestl-Brüder, darunter der frömmelnde Matthias, von dem ich schon Heiligenbilder in meinem Kommunionsgebetsbuch hatte und der 1903 auf einer feinsinnigen übergroßen Lithografie gezeigt hat “Wie Albrecht Dürer auf seiner Reise nach den Niederlanden an Sulzfeld am Main vorbeifährt am 16. Juli 1520”.

Der Versuch, Sulzfeld von der gegenüberliegenden Mainseite aus der gleichen Perspektive auf Foto zu bannen, misslingt. Das Ufer ist dicht bewachsen und kaum begehbar, mitten im Fluss sind aber vor allem mit hohen Bäumen bewachsene längliche Inseln, die es zu Dürers Zeiten kaum gegeben haben dürfte und die möglicherweise den Fluss am Laufen halten und das mäandern hindern sollen.

Später am Tag erwische ich dann aber immerhin einen freien Blick auf Frickenhausen

wie es Walter Romberg auf einer Radierung mit Gänsen dargestellt hat.

Die Kapelle “Maria im Weingarten”, noch über Volkach, liegt zwar malerisch über dem Radweg

und ich sehe schon einen Holzschnitt von Richard Rother vor mir, den es aber nicht zu geben scheint, dafür aber umso mehr andere Ausblicke aus Weinfranken.

 

Mit rollenden Gedanken über die NS-Verstrickungen des begnadeten, aber zwielichtig gebliebenen Richard Rother, auch über einen Namensstreit über die Rother-Realschule in Kitzingen, beende ich die Kunststunde und laufe irgendwann bei hoch stehender Sonne in Volkach ein. Just als ich einen von gestern verbliebenen “Natural Energy Cereal Bar Strawberry & Cranberry. Vegan” mampfe und über den Stadtplatz blicke, erklärt sich die Belegung der Hotels in der Region durch die zahllosen abgestellten Fahrräder.

Diese Tour sollte man besser nicht an Wochenenden machen oder sich mit Vorlauf etwas reservieren.

Wäre, wäre, Fahrradkette. In Kitzingen wäre ich dann doch noch gerne geblieben. Auf dem Plätzen munteres Treiben, Weinstände schon auf der Fußgängern vorbehaltenen Altstadtbrücke, am Ufer eine “Mahnwache gegen Ausweisung” mit Latino-Live-Musik. Noch bietet das Internet die am Morgen schon angezeigte Übernachtung, aber es ist erst 15:00 Uhr. Jetzt 2 Stunden  ins Hotel und schreiben, danach alleine in die Kneipe und um 20 Uhr ins Zimmer, was dann? Auf der anderen Seite: Soll die Fahrt gleich heute schon, eigentlich etwas zu früh zu Ende sein? Doch hier bleiben und am folgenden Morgen früh die letzten 36 km nach Würzburg und erst dann mit dem Zug nach Frankfurt? Ich ringe mit mir, fahre ein paar Kreise auf dem heißen Asphalt, langsam eine Straße nach oben und revidiere beim Anblick des Hotels von der gegenüberliegenden Tankstelle aus meinen gerade gefassten Entschluss hier zu bleiben. Nö, nicht so’n gesichtsloser Stellwandkasten mit kleinen Fenstern und vielen Tagungsräumen. Nö, wirklich nicht.

Noch 36 km bis Würzburg, kein Problem. Dort kann ich ja auch noch bleiben und die Reise so morgen beenden. In Ochsenfurt oder Marktbreit studiere ich trotzdem den Fahrplan. Die letzten zügigen Kilometer gehen an Sommerhausen, Eibelstadt, Randersacker vorbei und die Stadt hinein, Mainufer und Radweg werden zur kilometerlangen Freizeitzone: Liegewiesen, Grillplätze, Kleingärten, Festzelte, Rennradfahrer beim Speed-Training, querende Kleinkinder.

In Würzburg ist es mir am Ende zu laut und viel zu heiß, der Regio um 18:37 bringt mich nach Frankfurt.

Die Zahlen des Tages
Was der Tacho spricht

Tagesstrecke: 97,3 km
Fahrzeit (ohne Pausen): 5:53 Stunden
Durchschnittsgeschwindigkeit: 16,49 km/h
Maximale Geschwindigkeit: 33,23 km/h
Kalorien: 1.062