Tag 13 – Von Vuhred nach Maribor

Dienstag, 23. Juni 2015

Der Plan

Mittags in Maribor die letzten Berge überwunden haben und dann im Flachland durchstarten

Wie es war, was geschah

Vuhred, 8.00 Uhr

Die Kücherin hat mich mit Spiegeleiern versorgt, ich bin wild entschlossen, die nächsten 47 km mit Anstand und nach der Pustertalmethode („man kann immer noch langsamer fahren als man es sich irgendwie vorstellen kann“) hinter mich zu bringen.

Maribor, 13.10 Uhr

Natürlich ist dann wieder alles ganz anders gekommen als gedacht. Und den Frosch, der man nicht sein soll, gebe ich heute mit großem Vergnügen. Mir sind durch die Fügungen des Wetters ein paar Strapazen erspart geblieben, ein freier Tag wurde geschenkt.

Zum dritten Mal in meinem Leben bin ich nun also in Maribor NICHT mit dem Fahrrad eingerollt.
An das erste Mal erinnere ich kaum noch. Es war wohl mehr eine Durchfahrt, auf der Rückreise von der damals noch jugoslawischen Adria bei Split, aus Togrir, auf dem Weg nach Frankfurt, irgendwann in den Siebzigern. Ein guter Freund und ich, waren unterwegs mit einem durchgerosteten R4 mit defektem Fahrersitz und wenig Bremsen. Im Kofferraum, in einer vor Ort gekauften Korbflasche, 30 Liter eines Rotweins, der uns dort unten so gut geschmeckt hatte, und den zu Hause natürlich niemand mehr trinken wollte. Auch das fällt mir heute zu Maribor ein.

Das zweite mal war ich hier im vergangenen Herbst zusammen mit meiner Frau. Wir waren ebenfalls nur auf der Durchreise und machten hier eine längere Fahrpause auf unserer Fahrt von Frankfurt nach Mucsi (sic!), die wir Abstechern an den Wörthersee, nach Ljubljana und eben auch nach Maribor verbunden haben.

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Vuhred, 9.30 Uhr

Heute nun bin ich mit der Eisenbahn gekommen. Denn kaum habe ich den letzten Punkt hinter die Notiz oben gesetzt und mich vom Frühstückstisch erhoben, setzt – ich habe den Fuß schon auf dem Pedal – der große Regen ein. Ich nehme das anfangs nicht so ernst und rechne mit einer Verzögerung der Abfahrt um ein, zwei Stunden. Nach einer Weile werde ich doch etwas nervös und befrage das www-Orakel. Die Auskunft ist niederschmetternd: Regen am Vormittag, noch mehr Regen am Nachmittag, Regen auch in der ganzen folgenden Nacht. Hier in Vuhred, aber auch in Maribor. Erst morgen soll es anhaltend besser werden.

Was jetzt? Mir ist nicht nach einer Schlammschlacht auf einer Radstrecke, von der ich ohnehin nichts Gutes erwarte, aber noch viel weniger habe ich Lust auf eine weitere Nacht in der Penzion Markac. Und ich bin ohne jedes Bargeld, nachdem ich verpennt habe, mir unterwegs welches zu besorgen, mir Markac eine überaus üppige Rechnung für das Abendessen aufgestellt hat, aber keine Karten akzeptiert. Dumm gelaufen, ich sitze in der Falle. Ein Automat soll im nächsten Dorf in der Richtung sein, aus der ich gestern gekommen bin. Dorthin durch den strömenden Regen, mit Gepäck, ohne Gepäck, zurück, anders weiter?

9.30 Uhr, die Kücherin schaut mit bedauerndem Lächeln und erhobenen Armen an die Decke und überweist mich in die Post um die Ecke. Dort kann ich zwar kein Geld „aufnehmen“, aber mein Hirn meldet sich und teilt mit, dass ich gestern schon seit Dravograd und bis hierher neben, über, unter einer Bahnlinie gefahren bin. Die Postmannschaft sagt zu meiner Erleichterung, dass es einen durchgängigen Zug nach Maribor gibt und recherchiert die nächste Abfahrt im Internet: 9.58 Uhr, noch 20 Minuten, die nächste Bahn geht 5 Stunden später. Ich nehme die Beine in die Hand und sammle in der Pension meine Sachen ein. Jetzt nur in der Hektik nichts vergessen. Die Kücherin malt auf den gleichen länglichen Kellnerblock, auf dem schon die vermaledeite Essensrechnung entstanden ist, ein paar Striche: „ein stras, zwei stras, banhof.“ Minuten später bin ich da, es gibt einen besetzten Fahrkartenschalter, selbstverständlich mit maestro-Symbol, meine allerletzte Sorge bin ich damit also auch los. Der Zug kommt in wenigen Minuten, der Schaffner hilft mir, das Rad mit aufgeschnalltem Gepäck fast einen Meter hoch in den Zug zu wuchten.

Drau, Drauregen, Zugfenster
Drau, Drauregen, Zugfenster

Die Bahnreise hinter beschlagenen Fenstern im geheizten Zug durch das enge, tiefgrüne, wie ein Dschungel dampfende Tal der Drau werde ich nicht vergessen. Zum trüben Wetter passend wird mir beinahe etwas sentimental. Schon seit einigen Tagen gehen mir ein paar Zeilen aus einem Ringelnatz-Gedicht, das mich schon an die 20 Jahre begleitet, nicht mehr aus dem Kopf:

„Vorbei – verjährt –
doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
ist leise.“

Das ist natürlich aus dem Kontext gerissen und unterschlägt nicht nur die beiden genialen Anfangszeilen „Ich habe Dich so lieb, ich könnte Dir ohne Bedenken, eine Kachel aus meinem Ofen schenken.“ Aber die Reisezeilen haben mich immer besonders berührt. Sind alle Reisenden entweder sentimental und wenn nicht, dann im Gegenteil euphorisch? Oder kann man beides gleichzeitig sein? Gleich, wer emotionslos reist, soll jedenfalls besser gleich zu Hause bleiben. Und ist es nicht so, dass das Reisen, die Bewegung, die Begegnung, das richtige Leben ist, das Verweilen an einem Ort nutzlos stillstehende Zeit? Die jahrzehntelange Arbeit in immer der gleichen Firma der happige Preis dafür, dass wir uns zeitweise frei und davon machen können? Natürlich ist das nicht die ganze Wahrheit. Man kann auch ohne sich fortzubewegen reisen. Nicht nur im übertragenen Sinne ist auch Schreiben, Komponieren, Malen und manche andere Beschäftigung – darunter das Kochen – eine Reise in unbekannte Gebiete.

Maribor am Nachmittag
Maribor am Nachmittag

Warum nur fällt mir kurz vor Maribor eine Lebensweisheit meines Freundes Lui, dem14.8., aus dem Jahr neunzehnhunderthaumichtot ein: „Gedanken sind die Grimassen der Psyche.“? Um 11.05 Uhr verlasse ich wie frisch gebeichtet und mit Absolution versehen den Zug. Das Hotel Piramida empfängt mich sinnigerweise mit einem Sinnspruch an der Wand hinter dem Rezeptionisten: „The world is a book, those who do not travel read only one page.“ Schon immer habe ich gewusst, dass auch noch in der letzten Plattitüde wenigsten eine Wahrheit steckt.

Den Rest des angebrochenen Tages verprivatisiere ich jetzt entspannt in Maribor. Morgen geht es weiter.

Die Zahlen

Tageskilometer: 0
Gesamtkilometer: 917
Fahrzeit Rad heute: 0