Tag 9 – Von Innichen nach Sachsenburg/Drau

Freitag, 19. Juni 2015

Der Plan

Drau abwärts solange die Beine tragen

Wie es war, was geschah

Ab in Innichen um 9.30 Uhr, nachdem ich noch einen freundlichen Fotoladeninhaber an einem normalen PC-Bildschirm habe überprüfen lassen, ob meine letzten Fotos OK sind. Gestern ist die Kamera bei einem Selfie vom Fahrradsattel auf den Asphalt geknallt. Entwarnung, alles paletti.

Der durchgängige, luxuriös geteerte Radweg folgt der Drau aus Innichen heraus in sanfter Neigung abwärts durch eine breite wiesenbestandene Hochebene. Der Bach wächst immens schnell zum Fluss, unzählige Rinnsale liefern von der Seite Wasser aus den Bergen.

Erst bei Silian und nach etwa 20 Kilometern beginnt der eigentliche Abstieg von der Toblacher Höhe. Der Fluss nimmt Fahrt auf und springt in Kaskaden über Felsen ins Tal. Der Radweg folgt stets in Sicht- und Hörweite und schlängelt sich mit einem Gefälle von bis zu 10% durch den kühlen, schattigen Wald. Da nichts weiter zu tun ist, kommt ein Gefühl auf wie auf den Schienen einer Sommerrodelbahn zu fahren. Man darf nur beim Zurücklehnen nicht das Lenken vergessen. Ein Radweg wie für Saarländer: „Hauptsach‘ gut gerollt….“

Gelegenheit, sich Gedanken zu machen und alberne Kalauer in die Welt zu setzen. Zum Beispiel zu dem Thema, wie es zu all den zahlreichen und aufdringlichen Warn-, Hinweis-, Gebots- und Bittschildern entlang der Strecke gekommen ist. „Bitte die nächsten 500 Meter nicht anhalten.“. Immer wieder gibt es mit orangen Oststfriesennerzen ausgestattete Vogelscheuchen, die Schilder vor sich halten wie: „Für die besonders Klugen: Wir wollen weder der Hundekot noch die benutzten Säckchen in unseren Feldern!“. Oder: „Es ist leichter Müll wieder mitzunehmen als ihn im Wald zu deponieren.“. Hier muss in der Hauptsaison irre was los sein. Wahrscheinlich rast unter anderem der Italiener als solcher rasant mal sowieso den Berg hinunter, telefoniert dabei und isst aus der anderen Hand einen salumierten Panino. Wenn die Semmel zu Ende ist, wirft er oft das i-fonino in die Wiese und versucht, mit dem leeren Butterbrotpapier weiter zu telefonieren. Davor muss man ihn natürlich bewahren. Und dafür also all die Schilder. Um das zu verstehen, muss man natürlich erst einmal mit dem Rad von Frankfurt hierhergekommen sein ….

Derweil bildet die Drau zum ersten Mal ein hochgebirgstypisches Schotterbett. Solche Beobachtungen und Gedanken (s.a. „Satteltasche“) treten bei km 40 wieder in den Hintergrund, weil Fluss und  Radweg Gefälle herausnehmen, es auf Lienz zu flacher wird und der Radfahrer die bislang überflüssigen Beine wieder in Betrieb nimmt.

Lienz bei Kilometer 43, 12.30 Uhr, Cappuccino.

Ach, noch eine Kleinigkeit: von Toblach gelangt man nicht direkt nach Kärnten, wie ich die ganze Zeit annahm. Lienz liegt vielmehr im Bundesland Tirol und ist Verwaltungssitz  es gleichnamigen Bezirks bzw. der Region Osttirol. Peinlich.

Nach Lienz volle 14 km schnurgerade auf einem asphaltierten Damm entlang der begradigten Drau durch das breite, am Grund brettglatte Flusstal. Links und rechts mal näher, mal weiter Berge, hier unten gibt es nicht viel zu sehen und Neues zu berichten. Ich formuliere Sätze für den Blog vor: „An einer nicht besetzten Angelstelle in die Drau gepinkelt. Das gehört bei einer solchen Tour einfach dazu, da muss man sich nicht so anstellen.“ Leider kommt keine solche Stelle, weswegen die Anführungszeichen und diese Erläuterung stehen und die zitierten Sätze das bisher einzige fiktive Element in diesem Blog bleiben und ich es beim wahrhaftigen Erzählen und Berichten belasse.

Am Ende der langen Geraden treten die Bergwände wie ein Tor wieder näher an den Fluss. Nach Durchfahren bin ich in Kärnten.

14.30 Uhr, km 63, Einkehr in Oberdrauburg, Currywurst, Kartoffelsalat, Plastikbesteck, Cola. Die von Elisabeth W. anempfohlene Übernachtung in diesem Ort schlage ich aus, es ist noch zu früh. Aber ich schreibe das schon in mein Heft bevor die Wurst da ist. Habe begonnen, in den Pausen Notizen zu machen. Zwischendrin simst ein ungarischer Bekannter mein Handy an und erkundigt sich nach Gebühren für Dollargeschäfte in Deutschland. Ich schmunzele, was für ein Tag…..!

Die Currywurst war laktosefrei. Dies, ein zeitweise frischer Wind und mein zuverlässiges LC75, das ich an dieser Stelle wie ein treues Pferd zum ersten Mal namentlich erwähne, erlauben mir nach dem Essen noch einmal 41 km draufzulegen. Zeitweise glaube ich ernsthaft, dass ich die Marke 119 km und damit Spittal erreichen kann. Aber bald führt der Radweg eins ums andere Mal und wieder und immer und wieder und wieder vom Fluss weg und folgt der in Schlangenlinien auf und ab und auf und ab und auf führenden und die höher gelegenen Einzelhöfe verbindenden Seitenstraße. Mir geht die Puste aus.

Zudem zwingt mich ein heraufziehendes Gewitter zu zwei Pausen. Die erste verbringe ich vorsichtshalber untergestellt ohne dass etwas passiert, bis ich mir sicher bin, dass das Gewitter an den Bergen hängen geblieben ist. Kaum bin ich beruhigt losgefahren, fängt es an zu tröpfeln. Ich rette mich vor dem folgenden Schutt noch unter das Dach eines zur Straße hin offenen Geräteschuppens. Vor meinen Augen ein unerwartetes Schauspiel: eine Handvoll bis gerade eben stoisch vor sich hin weidender Kühe fängt bei den ersten Tropfen das Laufen an und flüchtet im gebockten Galopp in Richtung des nahegelegenen Gehöfts. Dort bleiben sie wiederum ruhig stehen. Niemand lässt sie rein. Ich erkenne aber die Zeichen der Zeit, lasse Spittal sausen, fahre nur noch die 100 km rund und nehme Quartier im Goldenen Rössl in Sachsenburg an der Drau.

Das Rössl wirkt zunächst etwas spröde, ich erwarte eine Art Arbeitsübernachtung vor neuen Taten morgen. Nach dem Duschen überraschen mich die Auswahl und die Qualität der angebotenen Weine, darunter ein trocken vergorener gelber Muskateller. Beim späten Abendessen verzückt mich eine üppige Portion perfekt gegarten und mit Raclette-Käse gratinierten Spargels, begleitet von superben jungen Kartoffeln und ein wenig Serrano. Die aufgelegte Lavendelblüte adelt das Gericht. Vom Zweigelt müssen wir nicht sprechen.

Ite hodie missa est. Mehr geht nicht.

Die Zahlen

Tageskilometer: 104,4
Gesamtkilometer: 694,4
Fahrzeit heute: 5 Stunden 40 Minuten netto, etliche Pausen