Tag 15 – Von Donja Dubrava nach Virovitica

Donnerstag, 25.6.2015

Der Plan

Weiter durch die Drauebene in Richtung Osijek, Tagesziel irgendwo auf der Linie Barcs – Virovitica

Wie es war, was geschah

Am Abend in Virovitoca mit Müh und Not in einer privaten Pension – Villa Magnolja *** – untergekommen. Um es von hinten zu erzählen: nachdem ich erstmal hier war, war es ein Glücksfall. Mladen (?), der Hausherr, 70+, wartet nach wenigen Worten mit klassisch vorgezeigtem Zeigefinger und Daumen auf: „Ein kleine Schnaps?“. Jetzt geht einfach nur noch Anerkennung der Geste und Gastfreundschaft vor Vernunft, außerdem fühle ich mich Ende eines erneut übervollen Tages jetzt einfach danach und genieße die 4, 5, 6 cl Willie – einen Birnenschnaps vom Schwager – mit großer Dankbarkeit und Demut. Damit hätte ich heute wirklich nicht mehr gerechnet. Auch nicht mit zwei ofenwarmen Kuchenstücken, gefüllt mit Aprikosenmarmelade, die mir aufs Zimmer nachgetragen werden, kaum dass ich eingezogen bin.

Wo soll ich jetzt anfangen zu erzählen?

Am Morgen nach längerem Kartenstudium entschieden, dass ich mir von Donja Dubrava aus eine Route suche, die mich wie auch immer nach Gola an der kroatisch-ungarischen Grenze führt. Danach will ich nördlich der Drau auf der ungarischen Seite auf einer der der Karte einigermaßen geraden Linie bis Barcs fahren, wieder über die Grenze wechseln und im kroatischen Virovitica übernachten, um mich morgen von dort soweit wie möglich in Richtung Osijek weiterzubewegen. Dieses Ziel habe ich am Ende des Tages erreicht. Vieles was dazwischen liegt hätte ich mir anders vorgestellt, wenn ich auch nichts davon missen möchte, bis auf …., aber davon später.

Anfangs läuft alles nach Plan, auf dem Weg über Legrad begleiten mich sogar Fahrradwegsymbole, später sogar eine „DRAVA ROUTE“. Irgendwie sieht es eine Weile so aus, als wenn diese Wege so laufen wie ich mir das für mich zurecht gelegt hatte. Als es dann doch an einer Stelle anders weiter geht, beschließe ich der „DRAVA ROUTE“ mein Vertrauen zu schenken, wer weiß, vielleicht kann ich ja doch den ganzen Tag in Kroatien bleiben und un Richtung meines Zieles vorankommen. Als ich jedoch von hinten auf ein weitläufiges Gebiet mit unzähligen Baggerseen und einem Jugendferienlager zufahre, an dem ich vor einer halben Stunde auf der anderen Seite vorbeigeradelt bin, breche ich ab und setze Plan A wieder in Kraft. Jetzt zurück auf die Piste nach Gola und ab nach Ungarn. Aber wo es geht es von da wo ich jetzt bin dahin? Ich frage hintereinander zwei Leute auf der Straße und will die immer gleiche Antwort nicht glauben: weit zurück auf der Straße, auf der ich gekommen bin. Ich schlucke die Kröte und merke bald, dass es eine ganz andere Straße ist. Zeitweise habe ich das Gefühl für meine Position und für Richtungen verloren.

Bis ich wieder auf Linie bin, habe ich 10-15 Kilometer verschenkt, aber auch durch Hinweisschilder erfahren, dass ich im Drau-Mur-Nationalpark, später auf der ungarischen Seite im Drau-Donau-Nationalpark unterwegs bin.

Auf Gola zu läuft dann schließlich alles doch reibungslos, ich rolle meist mit Rückenwind, wie auch später noch einmal am Nachmittag, bei beinahe null Verkehr über meist brettflache Asphaltstraßen. Zeitweise komme ich mir vor wie ein Zeitfahrer: oben eine stabile unveränderliche Sitzposition, unten laufen die Beine auf in einer bestimmten Frequenz gleichmäßig wie eine Nähmaschine. Komme was da wolle.

An der Grenze ist der kroatische Posten gar nicht besetzt, das Personal ist auf der ungarischen Seite in Gestalt einer kroatischen und einer ungarischen Beamtin zusammengezogen. Die inspizieren gerade ein leeres blaues 200-Liter-Plastik, das ein Ungar in die Heimat bringt iert und aus dem offenen Kofferraum eines rostigen Lada ragt. Befragung und Antworten haben etwas von Schilda, denn rein ins Fass schaut natürlich niemand, es wird nur ein wenig dagegen geklopft.

Als ich dann dran bin, liest die Kroatin ein wenig in meinen scheckkartengroßen Personalausweis hinein und reicht ihn wortlos an die Kollegin weiter. Die sagt „Jó napot“ und ich auch. Wir wechseln noch ein paar Sätze auf ungarisch – Sie kommen wohl öfter hierher? Ja, Haus im Komitat Tolna, Mutter dort geboren, Frau wartet schon auf mich, aber erst noch Osijek und an die Draumündung – und ich merke peinlich berührt wie sie charmant lächelnd beinahe dahinfließt. Als ich wieder losradele, sagt sie noch „joj“ wie weiland Piroschka Pulver, hebt aber leider nicht die Kelle zur Zugabfahrt und pfeift auch nicht. Das war dann eben doch ein anderer Film. Obwohl, eine Schildmütze hätte sie schon aufgehabt…

Etwas ähnliches dann noch einmal mit der etwas älteren Bedienung eines Cafės, die es freut, dass ein Ausländer ein wenig ungarisch spricht. Ich genieße so eine Art Heimspiel und bekomme vorgeführt wie ein klitzeklein-wenig ich mittlerweile nun auch in diesem Land verwurzelt bin.

Was sonst vom Vormittag hängen geblieben ist: irgendwo unterwegs ein auf der Gegenfahrbahn stehen gebliebenes Auto, der Fahrer liegt auf der Fahrbahn und inspiziert die Stoßstange von unten. Ich denke, dem wird halt sein alter Blechhaufen auseinander fallen und sehe erst spät den niedergestreckten Jungfuchs neben dem Wagen liegen, kaum größer als einer dieser verwöhnten Nordendkater.

Das sagt schon einiges über die Gegend hier aus, dass die Füchse am helligten Tag auf der Gasse rumlaufen und auch mittags den Hasen gute Nacht sagen. Ähnlich erhellend, dass seit ein paar Tage die Zahl der Storchennester pro Dorf beharrlich zunimmt, die finden ohne Ende Futter für den zahlreichen Nachwuchs, der derzeit schon 3/4 der Größe der Altvögel erreicht – oft drei in einem Nest -, aber noch schwarze Schnäbel hat und nicht fliegen kann. Dem gegenüber nimmt wiederum der Zahnbesatz der einfachen Menschen auf der Straße umgekehrt proportional ab. Einer meiner wegweisenden Gewährsleute vom Vormittag hatte noch so 50% zu bieten und fragt wie alt ich bin, dazu natürlich nach Frau und Kindern. Er selbst sei 40. Ich hätte ihn für 50+ gehalten. Ich sage „zweiundsechzig“ und zeige sicherheitshalber erst 6, dann 2 Finger. Er lacht: „ich alt, du jung!“. Das Witzchen erscheint mir etwas sublim, ich lasse es gut sein. Nachdem ich weitergefahren bin dämmert mir, dass er mich für 26 gehalten haben könnte. Sei’s drum. Ich hatte ja meinen Helm über den Silberstoppeln und er schon am Vormittag ordentlich einen im Tee. Was Wunder also.

Die letzte Schote am Vormittag war meine fixe Idee, aus der Reise eine Reise-2.0 zu machen: die WordPress-app auch auf meinem Fon installieren und Geschichten wie die vorigen beim Fahren per Spracherkennung direkt im Fahren posten. Geht das?

Dann kam die Grenze, kam Piroschka, die Mittagspause, ein ungarisches Bohnengulasch und der große Schock. Ich hatte all das, was ich bisher erzählt hatte bereits beim Suppellöffeln ins Tablet getippt als die Datei nicht mehr zu speichern und nach Schließen des Programms auch nicht mehr zu öffnen ist. Futsch, alles futsch und umsonst. Die eingeschobene Speicherkarte hat eine Macke. Alles weg und vergebens.

Auf dem anschließenden Ritt über 40 km nach Barcs bereue ich meinen Übermut-2.0, nichts ahnend, dass mich das Thema später noch einmal harsch einholt. Ich gebe noch mehr als am Vormittag Gas und fahre über 2 Stunden einen Schnitt von über 20 km/h, wissend dass ich am Abend nachsitzen muss, wenn ich die Geschichten nicht verlieren will. Aber jetzt kann ich das nicht ausbügeln und nehme erstmal zwei neue Episoden auf: gegen halb vier schnüre ich zügig an drei jungen Damen mit sinti-roma-Hintergrund vorbei – hier schnörkellos Zigeunerinnen geheißen -, die auf verbeulten Rädern von irgend einer Arbeit kommend nach Hause eiern. Ihr aufmunterndes Gejohle baut mich auf. Genau wie kurz drauf eine Gruppe von 4 halbwüchsigen Jungs auf Rädern. Einer ruft mir zu: „Egy versėny – Ein Rennen?“. Er fragt aber nicht, ob ich eines fahre, sondern bietet mir eines an. Kurz darauf fliegt er an mir vorbei: „Ėn vagyok gyorsobb – Ich bin schneller“. „Biztos. – Sicher“. Er fällt wieder zurück und lässt es wieder gut sein, während ich stoisch mein Tempo durchziehe. Nach einer halben Stunde hätte ich aber schon gerne gewusst, welche Farbe er angenommen hätte wenn er bisher mitgehalten hätte.

Barcs gegen 17 Uhr, eine letzte Kaffeepause, jetzt bleiben noch 16 km über die nahe Grenze ins kroatische Virotiviva, dort in irgend ein Hotel. Da ich seit Abfahrt heute morgen vom Rad aus nicht eine einzige Unterkunft gesehen habe, gehe ich sicherheitshalber noch in Barcs mit dem Fon ins Netz und checke ein einschlägiges Portal. Sieht nicht so gut aus. Auch nicht in Barcs, für den Fall dass ich jetzt hier bleiben würde. Sicher wäre nur ein relativ teures Haus noch 10 Kilometer weiter als Virotivica. Dann gibt es dort wohl noch was nicht so dolles, das ich nicht buche, obwohl ich es könnte. Die Portale haben ja nicht alles, es muss da doch einfach noch so was zu finden sein.

Jetzt flott. Ritt ex Barcs wie gehabt, zügig, trotzdem der Tacho bald 110 km Tagesstrecke anzeigt. Geschafft, aber kein Hotel in der Stadt. Nur das besagte 10 km weiter und noch ein weiteres, ebenfalls weit weg. Ich frage dreimal Passanten, die auch keinen Plan haben. Zweimal werde ich Ortsmitte auf ein Gebäude verwiesen, das wohl tatsächlich einmal ein Hotel war, aber nicht mehr ist. Später wird Mladen*** mir erzählen, dass es nach der zeitweisen Belegung mit innerkroatischn Flüchtlingen während des Balkankrieges nicht mehr wieder eröffnet wurde.

Im Moment aber überkommt mich zunehmende Unruhe und ich ergreife den Strohhalm-2.0. Ich wähle mich wieder ein und buche die nicht so dolle Unterkunft. Dann gehe ich vollends aufs Ganze und lasse mich vom Navi des Buchungsportals sprachgesteuert zur Unterkunft lotsen. Der Weg führt aus dem Zentrum in ein schäbiges Industriegebiet, es wird also eine Absteige für Brummifaher. Sei’s drum. Aber auch das zerschlägt sich bald. Ich lande bei einer Tankstelle mit einem Rückgebäude „Restaurant und Zimmer“. Das wäre es also gewesen. Aber überall hängen Zettel – Tankstelle, Restaurant, Fenster: am 25.6. geschlossen. Die Baggage hat vergessen, den Tag beim Buchungsportal abzumelden!

Glück im Unglück im Glück im Unglück: unterwegs zu diesem Trauerspiel war dann doch noch ein Hotelschild ins Auge gefallen, dem ich dann schließlich gefolgt bin.

Und dann kam Mladen mit dem Birnenschnaps und dem warmen Kuchen und alles ist gut.
Und jetzt gehe ich ins Bett, es ist zwar schon 0:45, aber das Nachsitzen-2.0 und das Noch-einmal-alles-von-vorn-schreiben waren nicht so arg schlimm und haben sich gelohnt. Manches wird ein wenig anders, manches sogar besser. Heute morgen hatte ich das mit der Piroschka Pulver und den Zahnarzt noch nicht im Text. Na bitte.

Die Zahlen

Tageskilometer Rad heute: 119,8
Fahrzeit: netto 6 Stunden 15, Mittagspause
Gesamtkilometer: 1.174