Kantina Karentena (3)

Rezepte und Geschichten aus der házi karantén

Tag 3
(5. September 2020)

Schon lange bevor um 12:29 Uhr zwei Polizisten vorfahren und wegen des verschlossenen Türchens am Hoftor auf dem Mobiltelefon anrufen – „Polizei kontroll“ – und unsere Anwesenheit überprüfen, haben in unserer Küche die ersten KuK-Vorbereitungen begonnen.

Wir wollen ein paar Grundzutaten und Beilagen so vorbereiten, dass sie später einfach da sind und nicht neben der Hauptzubereitung her zusätzlich gemacht würden müssen. Daher wird dies ein recht langer Tagebucheintrag.

Alles beginnt um 6:10 Uhr mit der Zerkleinerung von zwei Lauchstangen, einem Bündel Karotten und vier Petersilienwurzeln für insgesamt fünf verschiedene Sortierungen, die in den nächsten Tagen gebraucht werden: grüne Lauchringe und eine Möhre (Schnittmuster „Vierteldrehung“) für etwas „chinesisches“, ein wenig Karotte und Petersilienwurzel als Juliennestreifen für eine klare Suppe, die gleiche Kombination in etwas größeren Stücken für eine „rote“ Suppe (ungarisch mit viel Parika und Schweineschmalz), dann noch einmal noch etwas grober als Suppengrün für den Fall, dass wir eine Hühnersuppe selbst kochen. Das weiße vom Lauch könnte später leicht ein Lauchgemüse werden. Alles wandert in kleine Brotbeutel, wird beschriftet und kommt vorübergehend in die Gefrierbox, bis auf das „chinesische“ Gemüse, das gibt es heute Abend.

Als nächstes wird ein Roggenbrot mit viel Roggenmehl, ganz wenig Weizenmehl, Wasser, Trockenhefe, Trockensauerteig, Salz, ein paar Sonnenblumen- und Kürbiskernen, Fenchelsamen und gemahlenen Korander angerührt, geknetet und zum Gehen lassen unter die umgedrehte Teigschüssel gelegt.

Für das Eis, das es morgen, am Sonntag geben soll, wird „lemon & lime curd“ gekocht und in Gläser gefüllt:

      • 200 ml Zitronen- und Limonensaft
      • Abrieb von Zitrone und Limone
      • 200 gr Puderzucker
      • 80 gr Butter
      • 20 gr Speisestärke
      • 3 ganze Eier, 2 Eigelb (Eiweiß à Baiser)

Von je einer Bio-Limone und –Zitrone die Schale fein abreiben und zum ausgepressten Saft geben. Weitere Früchte auspressen bis 200 ml zusammen sind oder fertig gekauften Saft auffüllen. Zucker und Butter zugeben und in einer Stilkasserolle bei leichter Hitze zerschmelzen lassen. Dann die Eier und das Eigelb in einer Teigschüssel zusammen mit der Stärke klumpenfrei aufschlagen („Omelette“) und den heißen Saft bei ständigem Rühren langsam und vorsichtig zugeben, so dass die Eier nicht stocken. Die Mischung zurück in die Kasserolle geben und langsam und vorsichtig unter ständigem Umrühren weiter erwärmen bis die Creme sämig wird, also Eier und Stärke anziehen. Besser mehrmals vom Feuer nehmen und weiterrühren als Zitronen-Rührei. Wenn der curd wie Pudding aussieht in ein Marmeladenglas füllen, verschließen und auf den Kopf stellen. Haltbarkeit etwa wie Marmelade.

2 beiden übrigen Eiweiß werden mit Puderzucker zu Baisermasse aufgeschlagen, mit einem Löffel als Nocken auf ein Blech mit Backpapier gesetzt und bei etwa 50 Grad Umluft in den Ofen geschoben bis sie fest und trocken sind. Die Baisers sollen später auch ins Eis, brauchen aber ewig.

Seit gestern Abend bereits vorgeweichte helle Pintobohnen werden mit einer ungeschälten Zwiebel und 2 Knoblauchzehen in Wasser in erstaunlichen nur 45 Minuten weichgekocht und abgegossen. Im Topf wird Schweineschmalz erhitzt und die Bohnen mit der jetzt geschälten Zwiebel zurückgegeben und kräftig umgerührt bis sie zerfallen. Salzen, stampfen, nach Belieben pürieren, etwas Pfeffer. Solange unter ständigem Rühren weiter auf dem Feuer bis sich der Brei vom Boden löst und immer „trockener“ wird. Jetzt haben wir so etwas wie „refritos“, eine Grundzutat der mexikansichen Küche. Der Mexikaner hätte allerdings noch das frische Kraut „epazote“ mit den Bohnen gekocht, das wir hier aber nicht haben. Die refritos wird es in den kommenden Tagen zum Frühstücksei und später einmal als Beilage zu einer mexikanisch inspirierten Mahlzeit geben.

Schnell noch 6 große Waldviertler Beilagen-Erdäpfel, Sorte „Julinka“, zu Wasser gelassen und in Vorbereitung des für Sonntag vorgesehenen Kartoffelsalats in der Schale gegart. Brot nochmals leicht durchgearbeitet und auf Form geknetet, nochmals lange gehen lassen.

Damit ist um 13:34 Uhr der Punkt erreicht, an dem es heute in der Küche etwas ruhiger wird, vor allem aber in den kommenden Tagen die Vorbereitungen leichter und schneller werden. Dafür ruft draußen das Gras, das geschnitten werden möchte.  Während der Gartenarbeit ist das Brot mächtig gegangen und wird jetzt gebacken.

Mit Beilagen wird hier also erst einmal niemand mehr groß gelangweilt, denn auch die Waldviertler Erdäpfel, Julinka, sind bereits geschält. Außerdem liegt in der Küche eine Handvoll Schafgarbe, die umsichtigerweise beim Mähen nicht gemulcht wurde.  Heute gibt ja am Abend „chinesisch“ und  in China wird bekanntlich alles konsumiert, also kommt heute die Schafgarbe ins Essen. Wird schon passen.

Und das Lemon curd-Eis für den morgigen Sonntag  ist schon im Gefrierschrank:

      • 300 ml Schlagsahne
      • 200 vom vormittag bereiteten lemon curd
      • das klein gebrochene, gestossene oder gerissene*) Baiser vom Vormittag oder etwa 150-200 gr fertig gekaufte Baisers

Sahne nahe an steif, aber nicht zu fest schlagen, Baisersbröcken und lemon curd vorsichtig unterrühren. Kein Zucker, alle Süße kommt aus dem Zitronenpudding und des Baisers! In eine passende, mit Frischhaltefolie ausgelegte Form geben, so dass sich das Eis später stürzen und in Scheiben schneiden lässt und in den Gefrierschrank stellen. Am Vortag oder noch früher zubereiten und durchfrieren lassen. Ergibt in dieser Rezeptur ein fast cremiges Parfait, auch ohne Eismaschine und völlig ohne umrühren.

*)„Gerissen“: Wundersamerweise hat sich die Eischnee-Puderzuckermasse beim Backen bzw. Trocknen im Ofen getrennt, unten läuft klar der Zucker raus und karamellisiert am Ende neben den Eiernocken. Die sind nicht wirklich fest, sondern innen klebrig, außen aber auch nicht wirklich knackig. Geschmack und Gefühl im Mund liegen zwischen marsh mellow und süßem Rührei. Das wird ein ganz besonders gutes Eis, keine Frage.

Nach all dem haben wir heute immer noch nichts richtiges gegessen. Zuletzt jetzt also am frühen Abend das planmäßige Hauptessen des Tages:

Pfannengerührtes Huhn, chinesisch mit leichtem KuK-Einschlag

      • 2 halbe Brüste vom Maishähnchen
      • die am Vormittag vorbereiteten grünen Lauchringe und die in Vierteldrehung-Manier geschnittene Möhre
      • 1 Dose abgegossene und halbierte Wasserkastanien
      • 1 Schale abgestreifte Schafgarbeblätter und oder frischer Koriander
      • 1 ordentliches Stück Ingwer und ausreichend viele Knoblauchzehen
        (beides recht klein geschnitten, ideal sind „Streichholzköpfe“, aber nach dem Tag heute fehlt hierfür die Geduld, es darf also auch etwas gröber sein)
      • 1 Chilischote der Schärfe, die der Koch heute noch gut verträgt (wir haben, nehmen jetzt aber gerade keine Habeneros!), ebenfalls klein geschnitten, dabei je nach Leidensfähigkeit weiße Häute und die Kerne mitverarbeiten oder eben nicht
      • trockener Sherry, Sojasauce, Stärkemehl zum Marinieren
      • Salz, Pfeffer, Sojasauce, Sesamöl etc. nach Phantasie und Vorlieben der Hungrigen
      • als Beilage nach Belieben und Anleitung auf der Packung Reis oder asiatische Instantnudeln

Vorbereitend das Huhn in solche Streifen schneiden, die man für typisch chinesisch hält. Das hilft. In eine passende Schüssel geben, nicht gar zu üppig mit Sherry und Soja beträufeln und mit Stärke bepudern. Verrühren, es soll keine Suppe werden, sondern das Fleisch wird etwas mariniert.

In einem Wok oder einer geeigneten Pfanne neutrales Öl erhitzen und die Kastanien, den Lauch und die Möhre bei starker Hitze „pfannenrühren“, also knackig braten. Gegen Ende Ingwer und Knoblauch zugeben. Wer sich die Kante geben will, haut in eigener Verantwortung seine Teufelschilis  jetzt schon mit rein, da ist der der Effekt dann bis direkt unter die Schädeldecke spürbar. Ansonsten die Chiliwürfel separat auf einen kleinen Teller geben und später dezent neben dem fertigen Gericht anbieten. Das fertig gerührte Gemüse in einer kleinen Schüssel zwischenlagern, nur im Winter warm stellen, es kommt ja gleich wieder zurück. Falls erforderlich noch einmal etwas Öl  im Wok erhitzen und das marinierte Fleisch bei großer Hitze fast durchbraten, dann das Gemüse dazugeben und durchrühren und alles zusammen fertig garen. Nach persönlichem Geschmack mit Salz, Pfeffer, Sojasauce und Sesamöl abschmecken. Zum Schluss die frischen Kräuter (Schafgarbe, Koriander) untermengen, ohne diese allzu stark durchzugaren. Man kann sie auch roh auf den Tisch stellen, jeder bedient sich selbst davon. Im Unterschied zum Koriander hat die Scharfgarbe über das Grasiggrüne hinaus wenig Geschmack und entwickelt erst (übrigens auch in Salaten!) beim sorgfältigen Kauen ein harzig-würziges Aroma, das dem chinesischen Huhn durchaus gut anstand. Wenn, dann sollte man eher reichlich davon verwenden, sonst kann man es auch bleiben lassen.

Wir haben heute nach dem langen Küchentag auf weitere Zutaten und Beilagen verzichtet. Es hätte aber bespielsweise noch eine klein geschnittene rote unscharfe Parika ins Gemüse gepasst. Wer chinesische Instantnudeln dazu isst, rührt sie natürlich nach dem Kochen direkt unter das Gericht und brät sie kurz im Wok mit. Wer Reis dazu isst, passt besser auf, dass das Gericht nicht zu trocken wird und macht es eventuell wie in der richtigen chinesischen Küche: etwas verdünnte kalte Sojasauce mit Speisestärke verrühren und kurz vor Schluss in den Wok geben und unterrühren. Es bildet sich dieser typische glänzende Überzug über Fleisch und Gemüse und etwas mehr Sauce als ohne. Aber Vorsicht, es entsteht auch leicht Wackelpundding.

Zum Essen gibt es heute einen weißen 2019-er Olaszrízling (Welschriesling) vom Balaton, vom Weingut Laposa, vor dem auf dem Etikett mit „friss“ (frisch) gewarnt wird. Dazu muss man erklären, dass ungarische Winzer und ihre Kunden im allgemeinen etwas ruhigere und ältere Weine bevorzugen. Die Mode, bereits im Frühjahr knackig-jungen Wein vom letzten Herbst zu trinken, hält in Ungarn nur langsam Einzug.

19 Uhr. Was für ein Tag in der Küche! Wir kommen uns vor wie in eine neu zu eröffnenden Restaurant, in dem die Grundzutaten, Fonds, Saucenansätze etc., erst einmal vorbereitet werden müssen, bevor für die ersten Gäste gekocht werden kann. Morgen ist Eröffnung.