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Januar 2004 

Bartóks "Blaubart" in Darmstadt

Orchester, Sänger und musikalische Leitung agieren stimmig und überzeugend. Allenfalls wären kleinere Abstriche im Bereich Intonation bei den vielen teils zerfahren komponierten Solobläsereinsätzen oder bei unisono-Stellen – auch hier insbesondere wieder bei den solistischen - zu machen. Auch bleiben bei sehr enger Betrachtung Wünsche offen in Bezug auf eine finale Perfektion des Zusammenspiels und Zusammenatmens des Orchesters. Diese üblichen kleineren Mängel einer Repertoire-Vorstellung lassen sich aber sehr als gut in Kauf nehmen angesichts des Erlebnisses einer lebenden und atmenden Originaldarbietung.

Gleiches gilt für die Sänger, denen es vorzüglich gelingt, Stimmung und Spannung zu erzeugen. Hörbare musikalische und sichtbare darstellerische Leistung ergeben eine Gesamtinterpretation, die Hifi-Qualität und Solisten-Starzirkus nicht nur nicht vermissen lässt, sondern neben den seelenlosen Standards der Tonträgerbranche zu einem eigenständigen Wert wird. 

Die szenische Einrichtung und die Dramaturgie sind stark reduziert, aber stimmig und in ihrer Reduktion bereits wieder programmatisch überzeugend, weil vor allem völlig ausreichend: mehr hätte nicht mehr Wirkung erzielt. 

Und dennoch bleibt im Rückblick auf 2 Vorstellungen in den letzten Tagen der Eindruck, dass es nicht gelungen oder gar versäumt worden ist, aus der Summe dieser fast optimal realisierten Komponenten der Aufführung ein ebenfalls fast optimales Gesamtergebnis zu erreichen. 

Ein hörbares Defizit der Aufführung ist nämlich die offensichtliche Dispositionierung des Orchesters. Die dramaturgische und bühnenbildnerische Idee, das Orchester auf der Bühne hinter einem Vorhang zu platzieren, geht nicht auf: der im Zuschauerraum ankommende Klang ist matt, um Frequenzen beschnitten, vor allem aber dynamisch reduziert und nivelliert. Das Orchester wird aus einem anderen Raum herüber musizierend empfunden, es ist nicht wirklich präsent und auch anders herum: der Zuschauer wird nicht herangelassen. Zuviel Dynamik und Nähe verliert sich in Breite, Tiefe und Höhe des Bühnenraums. Der Zuschauerraum ist nicht akustischer Träger des Klangs. Allenfalls ist von hier aus zu erahnen, dass dort – wo man hinschaut – mehr gespielt wird, als man hier hört, aber man weiß es nicht, man ist nicht dabei. 

So wird auch am Ende die Szene bei der Öffnung der 5. Tür um die Hälfte ihrer Wirkung gebracht. Der präzise komponierte Kontrast zwischen maximaler und minimaler dynamischer Stärke verträgt keine relativierende Reduzierung: halblaut zu ganz ganz leise ist nicht das Gleiche wie wirklich laut zu ganz leise. Wenn an dieser Stelle nicht der Sitz unter dem Zuschauer vibriert, hat die Aufführung sich selbst um eine Wirkung und vor allem eine essentielle und nicht interpretationsfähige Vorgabe des Komponisten beraubt.

In der Inszenierung des Budapester Frühlingsfestivals Budapest 2002, in der die gleiche Platzierung des Orchesters gewählt wurde, war bereits ähnliches zu bemerken, doch waren die Auswirkungen wegen des deutlich kleineren Bühnenraums weniger gravierend, es kam noch genug herüber bzw. das Orchester war eben nicht so weit weg und separiert. In der Brüsseler/Frankfurter Inszenierung war ohnehin das Orchester konventionell im Graben belassen worden.

Für Darmstadt muss diese Lösung als gescheitert betrachtet werden.

 

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