Kantina Karantena (12)

Rezepte und Geschichten aus der hazi karantén

Tag 12
(Montag, 14. September 2020)

Da die Gefahr, dass wir infiziert sind und das Virus bei uns jetzt noch ausbricht, mit Dauer der Quarantäne geringer wird, setzen wir uns heute zum ersten Mal leicht über die Vorgaben hinweg und bestellen den Postboten ein, weil wir die halbjährliche Abrechnung der Kommunalabgabe in Höhe von aufgerundet und umgerechnet 5 Euro per Zahlkarte bar begleichen möchten.

Am Ort gibt es seit längerem keine Poststelle mehr, dafür kommt die Post ins Haus. Das funktioniert so: Der „postás“ (Postler, Postbote, Zusteller …) fährt von Montag bis Freitag mit einem grünen Dienstkastenwagen mehrere Ortschaften der Umgebung Straße für Straße komplett ab, bringt Sendungen in die Häuser und zahlt auch Geld aus. Wenn Renten und Sozialhilfen fällig sind, rückt er sicherheitshalber mit einem Kollegen an. Wer etwas aufgeben will oder Rechnungen bar mit den hier noch üblichen Zahlkarten begleichen, hängt ein grünes Schild ans Tor mit der Aufschrift „A posta házhoz megy“ (übersetzt: Die Post kommt ins Haus). Auch Geld abheben ist problemlos möglich, das Postauto ist mit einem EC-Kartenterminal ausgestattet und fungiert so auch als rollender Bankautomat, nur dass die Kohle nicht hinter Stahlwänden gesichert ist, sondern einfach in der Geldbörse des postás steckt. Das klang für uns Einwohner der „Hauptstadt des Verbrechens“ lange ziemlich blauäugig, aber es wirft auch ein mildes Licht auf das Idyll dieser abgelegenen ländlichen Umgebung, in der so etwas noch möglich ist.

Unser postás verbringt oft mehrere Stunden am Ort. Er ist standorttreu, das heißt, es kommt immer der gleiche Herr, nämlich „der Attila“. Es ist selbsterklärend, dass er everybody’s darling ist und in vielen Familien als eine Art Verwandter ehrenhalber betracht wird. Kein Wunder, er weiß ja qua Tätigkeit oft mehr über die Familienmitglieder als diese selbst. Groß ist das Gejammer, wenn er Urlaub hat oder krank ist.

Und er bedient nicht nur an der eigenen Haustür, sondern kann auch – wenn man ihn dort gerade trifft – unterwegs auf der Landstraße angehalten oder an jeder beliebigen Stelle im Ort in Anspruch genommen werden, an der er sich gerade befindet.

Vor unserem Hoftor spielt sich so gerade diese durch das Fliegengitter optisch etwas verschwommene Szene ab:

Der (ehemalige) Bürger(meister) Kornel B. bringt seinen pickup entgegen der Fahrtrichtung vor der Schnauze des Postwagens zum Stehen und macht ein paar Erledigungen bei Herrn Attila. Die Straßensperre dauert etwa 5 Minuten.

Der Quarantänetag 12 zeitigt ansonsten eine wieder laufende Brunnenpumpe. Das Gespräch mit Freund H. hat also gefruchtet, die in Betracht gezogene Reparatur oder besser der Umbau des Geräts war erfolgreich. Am schwierigsten war es, etwas fragile Klemmsteckschuhe aus Messing, die nicht zur mehrfachen Verwendung gedacht sind, auf- und wieder zuzubiegen und vom Ende eines Kabels ab- und an das Ende eines anderen Kabel anzuklemmen (Klemmsteckschuhe, wie gesagt).

Der Rest der Geschichte ist schnell erklärt, wenn auch lieber nur sehr schematisch. Zuvor hatte ein Druckschalter (A) die Pumpe (B) in Intervallen an- und ausgeschaltet. Der Schalter A war aber offenbar defekt und hat nicht mehr mit der Pumpe gesprochen. Daher wurde das Kabel, das bislang Schalter A mit Pumpe B verband in einer 20-minütigen Operation entnommen und ein weiteres Kabel, das zuvor vom Stromnetz zu Schalter A ging direkt an der Pumpe B eingesetzt beziehungsweise „eingesteckt“ (Klemmsteckschuhe, wie gesagt).

Alles klar? Kein Problem wenn nicht. Auch wir wissen nicht so genau, ob das wirklich schlau war oder nach einer Weile alles endgültig ruiniert sein wird. Hauptsache es kommt Wasser aus der Leitung. Eine typische Haltung und Vorgehensweise in einer abgelegenen Gegend, in der jeder alles möglichst selbst macht und unter keinen Umständen von auswärts einen ausgebildeten Handwerker rufen wird oder gar Originalersatzteile vom Hersteller bestellt. Jeder hat in seinen Schuppen und Verschlägen alle möglichen Schräubchen und Dichtungen, kaputte Lampenfassungen, Fensterrahmen, Radlager, Sensengriffe, Muffen und Schalbretter. Aber nie das passende Teil und nie das richtige Werkzeug. Trotzdem wird am Auto lieber eine Kufe vom Bett der Großmutter verbaut als eine Stoßstange vom Autohändler in der nächsten Kleinstadt. Wie gesagt: die Pumpe läuft.

Am Abend ist dann auch noch das Fenster zur Straße geputzt. Die Quarantänistin nutzt die Muse zu feinsinnigen Dingen dieser Art, die sonst eher zu kurz kommen. Der Quaranäniker verlegt dagegen das Schneiden der sechsten und letzten Platte des Farbholzschnittes „Alte Brücke“ auf morgen, weil die Sache sehr anstrengt und Konzentration erfordert und schiebt eine kleine, harmlose Grafik mit Motiv „Balaton“ dazwischen, die ihn aber auch nicht glücklich macht. Das vorhandene Holz ist als Druckplatte für kleinste Feinheiten denkbar ungeeignet und ergibt ein übles Druckbild. Morgen sehen wir weiter.

Das Hauptessen am späten Nachmittag (unten) wird unterbrochen vom Hupen eines Polizisten vor dem Tor, Typ Dienststellenleiter, jedenfalls eine im Dienst ergraute Autoritätsperson, die alleine vorgefahren ist. Er wischt mit der umgedrehter Hand quer durch die Luft und dann nach unten. Wir können das „Betreten verboten!“-Schild Mittwoch 24 Uhr selbst entsorgen.

Es hat noch kaum zu dämmern begonnen, der Abendstern steht nicht einmal 5 Meter über dem Dachfirst des Nachbarn, als schon eine einsame Fledermaus um eine unserer Baumgruppen kreist. Kein gutes Fledermausjahr, man hat zu anderen Zeiten schon ganz Flugschulen gesichtet. Und der Hunger wird groß sein, wenn die Insektenjagd so früh beginnen muss. Eigentlich hätte die Beobachtung vor dem Haus den Hirschen gegolten, die aber heute partout nicht röhren wollen.

Wie sagte schon der Saarländer? „Haptsach‘ gut gess‘, nix geschafft hammer schnell“. Oder so ähnlich. Es dürfte allen klar sein, dass jetzt hier keine ausgefeilten Kochrezepte mehr folgen werden. Lazy Monday. Es gibt einfach eines unserer absoluten Lieblingsgerichte, die schnell und aufwandslos aufgetischt werden  können: eine so groß wie nur mögliche Schüssel bunten Salat mit möglichst hohem Bitteranteil (Radicchio, viel ganze Basilikumblätter, Rauke, Pfefferminze),

direkt mit wenig Essig, Pfeffer und Salz und möglichst grasig-bitterscharfen Olivenöl in der möglichst großen Schüssel angemischt. Nach Verfügbarkeit und Tageslaune dort hinein gerne auch Tomaten, Paprikaschoten, eine kleine Handvoll Körner (Sonnenblumen, Kürbis, …).

Zu diesem Hauptessen gibt es heute folgende Sättigungsbeilagen:

etwas Stremellachs, die in Mayonaise eingerührten Reste der mexikanischen Sauce vom Anfang der Quarantäne (siehe Tag 5), ein paar Lauchzwiebelspäne sowie für die üblichen ewigen Hungerleider auch etwas getoastetes Weißbrot.

Zum Nachtisch gibt es zwei Schüsselchen Zwetschgenröster (ebenfalls Tag 5) mit einem gepflegten Schlag vom weißen Joghurt. Ein Kalauer geistert durch die sich mit eintretender Dämmerung verselbständigende Phantasie: „Besenröster, Zwetschenreißer! Besenröster, Zwetschenreißer! Ist das nicht ein uralter österreichischer Kinderreim?“. *)

Sei’s drum. Von gestern ist an dieser  Stelle noch der dort vergessene Nachtisch vorzustellen, den wir einfach fertig vom Stock gepflückt haben. Die Weinstöcke mit weißen Trauben einer Sorte, die wir nicht kennen und die sich nur bedingt zur Herstellung eines Weins eignen, weil manche Menschen einen bestimmten Beigeschmack des Weins partout nicht mögen, sind als Esstrauben ganz vorzüglich:

Bereits jetzt honigsüß, auch die bitteren Kerne mit ihren willkommen Inhalts- und Ballaststoffen lassen sich schön mit den Zähnen knacken. Dieser Nachtisch wurde nicht auf  Tellern serviert, sondern direkt vom Strunk geknabbert.

*) Zum Schluss als Betthupferln noch zwei weitere Beispiele für solche Kalauer, wenn auch einer etwas anderen Art:

  • „Wer waren die ersten illegalen Einwanderer in Ungarn?“ (Hintergrund erklärt sich für weniger Eingeweihte indirekt aus dem nächsten Spruch).

und

  • „Die Madjaren müssen froh sein, dass sie schon um das Jahre 880 herum in das Karpatenbecken eingewandert sind. Heute würde sie die ungarische Regierung nicht mehr rein lassen.“

Jetzt aber gute Nacht!